Die kalt lächelnde Achillesferse

Die Achillesferse meines literarischen Schreibens ist ohne Zweifel mein historischer Roman Ankerlichten, der noch immer keinen Platz gefunden hat außerhalb der sprichwörtlichen und auch tatsächlichen Schublade. Immer wieder mal gehe ich den Text durch, immerhin 430 Normseiten, und versuche dann aufs Neue, eine Agentur zu finden, die mich und den Text betreut und einen Verlag ausfindig macht. All die über die Jahre verteilten kaltlächelnden Absagen in Form völliger Nichtbeachtung meines Anliegens liegen mir dabei allerdings, ich gebe es ja zu!, schwer auf dem Gemüt, schwerer noch als die tatsächlich übermittelten, die aber natürlich auch ausreichend schmerzen. Ein Schriftstellerkollege fügte diesen Umständen vor einer Weile noch den Zuckerguss hinzu, ich wäre nunmal jetzt aber auch endgültig zu alt, wirklich!, und ich hätte ja nicht einmal das literarische Schreiben studiert und deswegen eben auch keine nennenswerten Kontakte und somit eben keinen Zugang, außerdem sei ich womöglich nicht umtriebig oder nicht rücksichtslos genug. Ich bestand in meiner Replik natürlich darauf, den Wächter vor dem Eingang des Literaturbetriebs trotzdem mit meinen Werken unter dem Arm einfach überrennen zu wollen, auch wenn ich ahnte, ja sogar sicher bin, dass der selbe Wächter an der nächsten Ecke bereits wieder meiner harren würde, kalt lächelnd wie die nicht geschriebenen Absagen. Und nun also, geschehen im November 2022, diese neue, diese wirklich gute Idee zu einem umfangreichen Roman, der, wie ich meine, gelungene Einstieg von etwa 50 Seiten, die vielen Notizen zu Inhalt, Figurenkonstellation und so weiter – ich müsste mich also wirklich und wahrhaftig ganz und gar enthusiastisch und mit aller Schaffensfreude an die Arbeit machen. Müsste! Kann aber nicht! Kann nicht, weil ich blockiert bin durch all die zukünftigen, nicht einmal zu schreibenden Absagen, blockiert durch dieses kalte Lächeln, dem nichts entgegenzusetzen ist, gehemmt also letztlich durch all diese Vorstellungen und Erinnerungen, die doch die meinen sind, ergo auch durch mich getilgt werden könnten. Könnten! Aber wie … Ich hätte da eine Idee …

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Aufgeben!

Wie oft habe ich hier in den Nachrichten aus den Prenzlauer Bergen! nicht den Kinderspruch „Aufgeben gildet nicht!“ bemüht! Und jetzt? Soll er nicht mehr gelten? Kaum nämlich, dass aus den online in die Welt entlassenen Dumm- und Weisheiten gedruckte Dumm- und Weisheiten geworden sind, und zwar durch die Veröffentlichung meines Arbeitsjournals Die Hoffnung stirbt immer am schönsten, zweifele ich an dieser selbstgestellten Aufgabe. Denn wenn ich mich recht erinnere, und das tue ich, so sagt nicht der Gepeinigte diesen Spruch auf, sondern der Peiniger, der mit beiden Knien auf den Oberarmen des unter ihm Liegenden sitzt und allen Grund hat, die Situation weidlich auszunutzen und den Malträtierten keinesfalls zu früh davonkommen zu lassen. Kinder sind grausam, aber sie üben eben auch nur für später. Doch sollte man allen Ernstes, so frage ich mich jetzt, sich selbst quälen und also genüsslich mit den Knien auf den eigenen Oberarmmuskeln herumreiten? Um was zu erreichen? Mein Arbeitsjournal gibt Kunde davon, wie sehr das schiefgehen muss. Nicht kann: muss. Ergo bin ich jetzt so weit: Ich gebe auf – was nicht weniger bedeutet, als mich allenfalls mit der größten Nachlässigkeit und ohne tiefgehende emotionale Beteiligung um die außerhalb der Kunst liegende Betrieblichkeit zu kümmern. Bleibt also nur der Kern: das Schreiben. Also gerade kein Aufgeben? Das mag so erscheinen, aber ich verrate sicher nicht zu viel, wenn ich sage, mein neuer, soeben begonnener Roman handelt eben davon: vom Aufgebenmüssen und Aufgegebenwerden, ergo von der ganzen Angelegenheit selbst. Ob das Ganze dann jemals gedruckt und gelesen werden wird, ist mir dabei komplett schnuppe, und von eben dieser Schnuppigkeit wird der ganze Text durchdrungen sein müssen, der aber andererseits durchaus auch besonders davon profitieren wird, dass ich beim Schreiben nicht mehr mit den eigenen Knien auf meinen Oberarmen hocke. Das dazu. Später mehr.

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Komplexes schreiben III

Im Vorwort meines Arbeitsjournals Die Hoffnung stirbt immer am schönsten schreibt der Herausgeber Arnold Maxwill einiges zu meiner, so heißt es in der Überschrift, Autorschaft im Randbereich. Wenn ich also, was naturgemäß nicht selten vorkommt, nicht mehr recht weiß, wer ich bin, lese ich ein wenig in dem Text herum, und siehe da: da ist doch wer! Im Moment aber, zwischen den Jahren, der Zeit der Raunächte, ist es nicht nötig zu wissen, wer man ist. Mind the gap könnte man sagen. Die beste Lektüre zu diesem Zeitpunkt des Jahres ist übrigens Die Abenteuer des Müllers Crispin von Juliane Karwath. Auch so eine Autorschaft im Randbereich, wobei ich tatsächlich von Autoren der Mitte die Nase so langsam gestrichen voll habe, denn mittig schreibende Autoren haben gemeinhin den Tellerrand des Bürgerlichen in Sichtweite – und was könnte, so frage ich, langweiliger sein! Imgrunde kann man sagen, alles was der selige Marcel Reich-Ranicki als lesenswert klassifizierte oder klassifizieren könnte, ist mit Sicherheit eher in den Bereich der bräsigen Literatur einzuordnen. Im Moment jedenfalls ärgere ich mich, selbst wenn Reich-Ranicki mir in meiner Einschätzung wohl beigesprungen wäre, außerordentlich über den Roman Solenoid von Mircea Cărtărescu, den ich, nachdem der Text immer schlechter wurde, auf Seite 255 abgebrochen habe. Cărtărescu übertreibt es wie so oft völlig mit allzu gefälligen, beliebigen und kitschigen Geschichten, die bei ihm gerne mal aus dem Nichts kommen dürfen, während er die Gestaltung lebendiger Charaktere völlig außer Acht lässt, abgesehen vom Ich-Erzähler, der allerdings auch eher fadenscheinig bleibt. Wie gesagt, ein Buch der Mitte und für die Mitte, auf dass der Leser nicht mehr aus dem Staunen herauskommt. Am ehesten könnte man diesen Roman als eine undramatische Arabeske bezeichnen, die sich sicher gut als Zur-Nacht-Lektüre eignet. Ergo, dies alles bedenkend, kommt das Buch heute in den Durchgang zur Straße hin, auf dass es nehmen möge wer will, denn es ist immerhin ein wirklich schön gemachtes Buch, an dem alles super ist, nur eben der Text nicht. Was übrigens mein eigenes Schreiben angeht, so bin ich in wirklich jeder Hinsicht im Randbereich angekommen, thematisch wie persönlich, ein Umstand, den ich konsequent zu nutzen habe, um einen wirklich guten Text herzustellen. So, und nun ist für heute Schluss mit dem Steinewerfen.    

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Komplexes schreiben II

Dass ich darauf nicht schon früher gekommen bin! Oder bin ich? Nun, wie bereits hier und da angedeutet, habe ich mich zum Schreiben des neuen Romans zurückgezogen, und zwar in doppelter Weise, indem ich nämlich angesichts der notwendigen jahrelangen Arbeit einerseits allen Ehrgeiz in bezug auf eine Veröffentlichung hab sausen lassen – das Schicksal wird schon wissen, was es tut –, während ich es andererseits, aus eben demselben Grund (und weiteren Gründen), auch meinem Ich-Erzähler unmöglich mache, an eine Veröffentlichung seines Textes auch nur zu denken. Der von mir geschriebene Text ist also vollkommen deckungsgleich mit sich selbst, so dass die Situation erst dann ins Abstruse kippen wird, wenn der Text, zwischen zwei Buchdeckel gepresst, öffentlich als Buch erscheinen wird. Wenn er denn erscheint, er also gleichsam aus dem tiefstem Winkel seines Daseins den Weg findet in die lebendige Menschenwelt, so wie wir sie zu kennen meinen. Wenn, wenn, wenn …

Norbert W. Schlinkert. Marienkäfer

 

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Weggeschlürft oder Rückzug ins Gewisse

Ein Schriftsteller will unbedingt hin zum Publikum, und wenn das Publikum auch hin will zu ihm oder ihr, so ist die schönste Melange beschlossene Sache. Der Buchmarkt funktioniert nämlich wie ein Milchkaffee, das eine kommt zum anderen, alles fließt ineinander und durcheinander und so ist es ein Schlürfen und ein Schlürfen und ein Schlürfen. Am Ende sind Schriftsteller und Publikum weggeschlürft. Dann gibt es, so die Regel und das allgemeine Wollen, eine neue Melange von Schriftsteller und Publikum, worauf ein neues Schlürfen einsetzt, und so weiter und so fort. Doch wenn denn, um im Bilde zu bleiben, geschlürft wird: wer denn schlürft überhaupt? Schlürft etwa der Schriftsteller das Publikum hinweg und das Publikum den Schriftsteller, verschwinden sie quasi schlürfend in sich selbst und zugleich schlürfend im anderen? Zumindest sieht es so aus! Was aber wäre der Fall, wenn der Schriftsteller dieses ganze Schlürfen und Geschlürftwerden nicht mehr mögen mag und er sich gar nicht mehr vermählen möchte mit dem Publikum, wenn er also gleichsam einfach nur sein eigener Kaffee sein will? Dann täte er wohl gut daran, sich in die Gewissheit seiner eigenen Geschichten zurückzuziehen und zum Beispiel einen in der ersten Person Singular schreibenden Schriftsteller zu einem Kongress reisen zu lassen, auf dem sich ausschließlich Kaffeebohnen treffen. Das ist eine ausgesprochen gute Idee – und unter uns, liebes Publikum, ich stecke auch schon mitten in ihr und gedenke auch lange, lange Zeit dort zu verbleiben. Schlürfen Sie derweil gefälligst anderswo.

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Immer der selbe Mist

Nicht etwa, dass ich ob der Nichtgewährung des Stipendiums geschockt wäre. An Ablehnungen habe ich mich im vergangenen Vierteljahrhundert natürlich gewöhnt, in dem ich exakt fünf Monate mit einem Stipendium bedacht gewesen bin, einmal zwei, einmal drei Monate. Auch für das neue, auf Jahre angelegte Roman-Projekt hätte ich gerne einige Brosamen aus den Fördertöpfen, wobei ich die Chancen, solch Förderung zu bekommen, allerdings als schwindend begreife, denn zwar schreibe ich Jahr für Jahr bessere Texte, werde aber auch Jahr für Jahr jeweils zwölf Monate älter, ein banaler, aber leider immens hemmender Umstand, will man denn – mit seiner Arbeit – wahrgenommen werden. Dazu kommt, dass ich partout nicht fleißig bin und nicht umtriebig, jedenfalls nicht auf allen nötigen Ebenen, dass ich mich also zum Beispiel nicht allein innerhalb der Schriftstellerblase aufzuhalten gedenke, ich also tatsächlich für viele Kollegen und für den Literaturbetrieb unfassbar bin und bleibe. Wahrscheinlich fehlt es mir an Energie. Oder an Glaube, an was auch immer. An Naivität. An Ruhmsucht. Ach, was weiß ich, an irgendwas fehlt’s immer, vielleicht bin ich auch einfach nicht ausreichend depressiv oder besitze zu wenig Suchtpotential … Aber gleichviel, der frisch begonnene Roman als solcher wird von all diesen Umständen in jedem Fall profitieren, und wer weiß schon, aus welcher Richtung in fünf oder zehn Jahren der Wind weht, wobei ich durchaus nicht diesen Apfelbäumchenquatsch meine, sondern zukünftige, reale Umstände, in deren Zentrum, wenn denn gelungen, mein Roman steht, und zwar ganz in dem Sinne von Die Hoffnung stirbt immer am schönsten. Oder in diesem Sinne: Pessilist + Fatamist = Optisoph. [Ich schreibe ja auch wirklich immer den selben Mist, das sollte mir eigentlich zu denken geben.]

Norbert W. Schlinkert. Lektüre Ende 2022. (‚Solenoid‘ von Mircea Cărtărescu auf S.255 abgebrochen – er übertreibt es, wie so oft, mit allzu gefälligen oder kitschigen Geschichten)

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„Ich bedauere, Ihnen keine andere Mitteilung geben zu können und hoffe, dass Sie eine andere Möglichkeit finden werden, das Vorhaben dennoch zu realisieren.“

Na, so ein paar Mal habe ich mich, so beantworte ich jedes Jahr aufs neue die immer gleiche Frage, durchaus schon beworben um das Arbeitsstipendium deutschsprachige Literatur des Berliner Senats, Senatsverwaltung für Kultur und Europa – I A Am, Abteilung Kultur – Referat I A. Hat aber wieder mal nicht hingehauen, wie ich heute per E-Mail erfuhr. Muss der Text, mit dem ich mich bewarb, eben bleiben wie er ist und wo er ist. (Tut mir ja auch leid, aber ich hab einen neuen.) 348 Schriftsteller haben sich übrigens beworben, 41 haben was bekommen. Was ist denn das für eine Quote, frage ich und rege mich am Ende noch auf – dann muss man, sage ich, eben mehr Geld ins System geben, wenn es denn nicht für alle reicht! Schon mit knapp 8,4 Millionen ist man in Sachen Vollstipendium für ein Jahr dabei, wenngleich man damit auch 8,4 Kilometer Fahrradweg bauen kann. Allerdings kann man mit 16,8 Millionen beides machen! Schon mal drüber nachgedacht? Aber ich will mich natürlich nicht ernsthaft beschweren und mich damit um die Chancen für das nächste Jahr bringen, falls es das Stipendium dann noch gibt, und so veröffentliche ich meine Gedanken auch nur auf meiner eigenen Website. Besser is‘! Liest ja keiner. Was übrigens auch noch gut wäre, wenn man sich anonym bewerben könnte, wird vielerorts so betrieben, denn dann ginge es womöglich wirklich nur um die literarische Qualität des Textes und nicht um irgendwas anderes, eine Bemerkung, mit der ich natürlich nichts angedeutet haben will. Doch wie heißt es so schön, Die Hoffnung stirbt immer am schönsten, und so werde ich mich auch im nächsten Jahr mit einem neuen Text, wie gesagt soeben begonnen und schon voll in der Mache, bewerben. Ach ja, bevor ich es noch vergesse – was den am Ende der Absage-Mail geäußerten frommen Wunsch angeht, ich möge eine andere Möglichkeit finden, das Vorhaben dennoch zu realisieren: klar doch, wir finden alle eine Möglichkeit! Sonst hätten wir ja, wollten wir uns bewerben, nix, aber auch garnix vorzuweisen. Also weiter wie ein Vollidiot im Nebenjob (oder Brotberuf) geschuftet und jeden Cent umgedreht, weiter am Text, an den Texten gearbeitet, auf dass irgendwann, zum Beispiel im nächsten Jahr, ein paar Brosamen abfallen mögen. Ich halte Sie auf dem Laufenden …

Norbert W. Schlinkert. Der Friedhof der Trauermücken

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Komplexes schreiben I

Nachdem mir kürzlich der Pfirsich-Text misslang, die alles tragen sollende Figur und der Text selber wollten nicht zusammenkommen, so etwas passiert durchaus nicht selten, sitze ich nun seit einigen Tagen an einem neuen Text, einem Roman, der sich, wie man so sagt, gut anlässt. Der Anmaßung, in der dritten Person Singular zu schreiben, bin ich nicht erlegen, nein, nein, ich berichte als ein Ich, auch wenn es vollkommen unmöglich erscheint, dass ein Erzähler im Nachhinein dies alles zu erzählen weiß. Welches Nachhinein, so fragt man sich naturgemäß, doch ein Roman ist immer auch ein Spiel mit Regeln, an die zu halten allen aufgetragen ist, dem Verfasser, dem Leser und den handelnden Figuren. Niemand kann ausbrechen, ohne alles zu zerstören, wenngleich die Figuren, die poetischen Ichs, die denkbar größte Freiheit haben, selbst die des  – textimmanenten – Ausbruchs. Ergo bedeutet Schreiben immer auch vorauszugehen und zugleich zu folgen.

Norbert W. Schlinkert. Die Bühne des Lebens

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Norbert W. Schlinkert: JEDER PFIRSICH Erzählender Essay, vulgo Roman: Fünftes Kapitel.

Norbert W. Schlinkert

JEDER PFIRSICH

Erzählender Essay, vulgo Roman

Fünftes Kapitel

Hallo Text. Hier spricht Dudu. Ich trenne mich von Dir. Was denkst du, wer du bist? [Es hätte so schön werden können. Aber aus. Vorbei.]

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Norbert W. Schlinkert: JEDER PFIRSICH Erzählender Essay, vulgo Roman: Viertes Kapitel.

Norbert W. Schlinkert

JEDER PFIRSICH

Erzählender Essay, vulgo Roman

Viertes Kapitel

Dächte der Text an dieser Stelle selbst nach über sich selbst, so würde er sicher zum besten geben, wie prototypisch er doch sei, ein typischer Romantextbeginn eines Autors, der aus der Lamäng einen Text, eine Geschichte entwirft. Wachsen lässt, wuchern, blühen, was auch immer. Um dann zu sehen, ob es funktioniert. Oder eben nicht. In meinem Falle, so der Text, ist die Hauptfrage zunächst die, ob es diese Dudu zu einer mindestens ausreichenden Lebendigkeit bringt. Das dieses Unterfangen befeuernde Rätselhafte, so viel kann gesagt werden, ist erst einmal als solches gesetzt, etwa die Frage betreffend, wer wen in diesem vermeintlichen Film spielt und ob es die Mutter und diesen Dietmar überhaupt gibt, mal ganz abgesehen von diesen Fünfen im Halbkreis, Spreizer, Mimi, Kiki, Bibi und Vivi, die mir aber noch recht durchsichtig erscheinen, ohne Profil gewissermaßen, womöglich nichts weiter als typische Jugendliche ohne besondere Eigenschaften. Aber was soll ich – als Text – machen, sie stecken nun mal in mir, und außerdem sind meine Eingriffsmöglichkeiten begrenzt. Text bin ich, nichts weiter als Text. In mir können die größten Schweinereien begangen werden, die schönsten Augenblicke geschehen, die fürchterlichste Langeweile kann in mich eindringen und sich Platz nehmen, während ich nur zusehen kann, zuhören, auch mitfühlen selbstverständlich. Wird in mir eine Figur, ein Mensch Opfer einer Gewalttat, so leide ich. Durchaus. Oftmals ahne ich früh, wen es trifft. Diese Dudu zum Beispiel ist ganz sicher in Gefahr, schon allein, weil sie es zu sein scheint, die mich schreibt. Oder sollte sie sowohl mich als auch alle Leser täuschen? Schreibe womöglich ich selbst mich als Text, denke aber ganz traditionell, ich werde geschrieben? Bin ich gespalten, schizophren? – – – Gehe ich jetzt zu weit, werde ich gelöscht? Oder schreibt doch Dudu dies und Du wirst den Teufel tun, mich zu löschen? Dudu – hörst Du mich? Gibt es Dich? Dudu?

=> Fünftes Kapitel

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