Versatzstücke, Novalis, Alban Nikolai Herbst

Wenn aus Versatzstücken des Lebens Literatur wird, dann wird wiederum aus der Literatur ein – vermeintlich größeres – Versatzstück. Eine Fortschreibung. Dies ganz im Sinne des Novalis und auch ganz in dem von Alban Nikolai Herbst, der mit seinem literarischen Weblog Die Dschungel. Anderswelt die Wirklichkeit beackert und die Saat ins Brachliegende bringt, es wachsen und gedeihen läßt, mitunter tatsächlich dschungelartig. Das lateinische Wort novalis bedeutet so viel wie Brachfeld, Neubruch, Acker, und daß Georg Philipp Friedrich Freiherr von Hardenberg sich diesen Namen als Künstlernamen auserkor, wird als Zeichen der (damaligen) Zeit oftmals übersehen. Lieber verkitscht man heute in Popeventmanier sein lyrisches Schaffen und mißachtet sein philosophisches, zeit(en)befragendes Werk. Würde Novalis heute leben, er beackerte sicher ein literarisches Weblog mit dem programmatischen Namen Blüthenstaub – und er schriebe Romane, die sich aus all dem speisen. In besagtem Blüthenstaub findet sich dazu das folgende (Nr.66):

Alle Zufälle unsers Lebens sind Materialien, aus denen wir machen können, was wir wollen. Wer viel Geist hat, macht viel aus seinem Leben. Jede Bekanntschaft, jeder Vorfall, wäre für den durchaus Geistigen erstes Glied einer unendlichen Reihe, Anfang eines unendlichen Romans.

Alban Nikolai Herbst schreibt:

Wer sich über das Weblog zur Figur in einem Text werden läßt, hat die Illusion, seine Entwicklung im Griff zu haben. Das stimmt in poetischer Hinsicht auch, kaum aber für den Alltag. Es kann aber auch auf ihn wirken. Das wäre ein handlungstherapeutisches Moment, das der in der Psychoanalyse in Gang gesetzten Regression analog ist: Wer sein Leben als Roman begreift, könnte sehr wohl, und vielleicht auch mit Recht, nach Art des kindlich-magischen Denkens vermeinen, durch Veränderung von Sätzen auch objektiven Geschehen eine Wendung zu geben. Dem entspricht die vergleichsweise Jugend des Internets. Es beginnt ja eben erst zu reifen; gewissermaßen ist es in der Pubertät. / Also: Ich schreibe den Protagonisten des Weblogs um, nämlich mich, und beziehe daraus die Zuversicht, ich würde mich auch im Leben ändern.

(Das Leben als Roman (ff). Aus dem DTs des 13. Aprils 2005. In: Alban Nikolai Herbst: Kleine Theorie des Literarischen Bloggens. Erste Lieferung. edition taberna kritika, Bern 2011. S.42.)

Wird fortgesetzt.

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5 Antworten auf Versatzstücke, Novalis, Alban Nikolai Herbst

  1. Iris sagt:

    Gefällt mir sehr, sehr!

  2. Das freut mich! Ist aber eigentlich „nur“ so ein Gedankengang durch meine Spezialdisziplin, nämlich alles Literarische, gleich welcher Herkunft und Art, für zwingend gegenwärtig und für einen Teil des Daseins und des (narrativen) Diskurses zu halten.

  3. bersarin sagt:

    Ja, es wird leider in der Manier von Wohlfühl- und Wohnzimmerromantik übersehen, daß es sich beim Werk von Novalis um einen hochkomplexen Text handelt: teils spekulativ zum bestirnten Himmel driftend, teils die Fichtesche Subjektphilosophie von Identität und Differenz in ein metaphysisch-poetologisches Fragment bringend. Die ästhetische Romantik in den deutschen Fürstentümern ist alles andere als das, was wir im gewöhnlichen Sprachgebrauch als romantisch wahrnehmen. Man merkt dem Text Novalis‘ das Gären dieser Zeit an: Kant und der Deutsche Idealismus Fichtescher Prägung, Göthens Märchen aus den „Unterhaltungen“ sowie sein Wilhelm Meister: Was kann Literatur, wieweit vermag sie es, das Subjekt, das empirische Ich zu bilden, auszubilden?

    Das Faszinierende an der Prosa sowie an den verschieden Reflexionsfragmenten des Novalis ist das unendliche Poetisieren als Tätigkeit des Subjekts: Bilder zu erzeugen, die immer – ein Stück weit zumindest – Fixierungen, Erstarrungen sind, und im Strom des Poetisierens diese Bilder zugleich wieder durchzustreichen und damit auf das Offene und Ungedeckte zu verweisen. In solchem poetisierenden Verhalten geschieht die Subjektwerdung und die Auflösung desselben in einem Zuge. Mir interessant erscheinend bei Novalis bleibt dieser Zug, das Subjekt aufzuheben, im Schreiben, im Denken, in der Reflexion vom Sich-selbst abzusehen.

    Wieweit aber das Ethos des Schreibens, auf das wohl auch Alban Nikolai Herbst hinauswill, am Ende die faktische Existenz, das Subjekt in seinen Lebensbezügen eben, berührt, sei dahingestellt. Ich halte es für zwei Paar Schuhe, bezweifle es, daß der Text ins Leben übertritt. [Höchstens wieder als ein Stück Literatur, das mag gehen.] Das, was man in den 80er, 90er Jahren – postmodern, teils auch flapsig –, an Foucault angelehnt, die Ästhetik der Existenz nannte: sein Leben zu einem Kunstwerk zu machen, lief am Ende auf bloße Stilisierungen hinaus und verkam zur Pose postmoderner Ironie als Unbezüglichkeit – wenngleich mir diese Ironie und das Spiel nicht so fern sind – gerne denken wir dabei auch an Heraklits bzw. Nietzsches spielendes Kind: Kunst hat eben immer auch etwas mit dem Experiment, mit einer Form von Bricolage zu tun.

    Das Ästhetische, das Literarische (auch innerhalb der Existenz): es bleibt am Ende doch nur an den Moment gebunden, geschieht im Augenblick. Nietzsche spricht im Zusammenhang mit dem Dionysischen von der Verzückungsspitze des Daseins. Diese Spitzen sind, wie alles Herausragende, selten. Und wie alles Spitze kann es durchaus auch wehtun. „Schöne Literatur muß grausam sein“ – wobei das Grausame nicht immer (im leidenden Sinne) schmerzen muß, sondern ebenso die nötige Lust bereiten kann.

    Ja, setzen Sie diese Serie fort! Sie verspricht spannend zu werden.

  4. Novalis denkt ja viel über Wechselwirkung nach, angeregt durch Fichtes Überlegungen vom Ich und Nicht-Ich und der nicht möglichen Begrenzung der Erfahrungswelt, weil jede denkbare Grenze nicht nur eine Innen-, sondern eben auch eine Außenseite hat. (Man denke hier auch wieder an Nietzsches Seil bzw. Brücke hin zum Übermenschen, wobei es hier aber eben, anders als bei Novalis, k e i n Zurück und keine Wechselwirkung mehr gibt.) Die Wechselwirkung von Traum und Realität, Irrationalität und Rationalität wird bei Novalis ja auch im ‚Heinrich von Ofterdingen‘ thematisiert. Es ist die Rede von einem Riß in dem Vorhang, der mit tausend Falten in unser Inneres fällt, was eine Bewegung zwischen den Welten ermöglicht. (Dies alles ist, vor allem Fichte, mit vollem Risiko nur aus dem Gedächtnis zusammengeklaubt, ich bitte gegebenenfalls um Berichtigung.) Auf was ich hinaus will ist, daß ich eine Wechselwirkung zwischen dem ganzen, banalen Leben und dem aus diesem Leben entstehenden Text durchaus für möglich halte, und zwar als ein ständiges Sichdurchdringen von Lebensmöglichkeit und Textmöglichkeit. Das quasi öffentliche Mitsichselbersprechen (Tätigkeit als solche, sagt Novalis, ist die eigentliche Realität) in einem literarischen Weblog verwiese dann aufs Ganze meines Seins und dieses wieder auf das bereits Geschriebene und noch zu Schreibende, weit mehr, als dies mit einem intimen Tagebuch, das gleichsam im „Innen“ verbliebe, möglich wäre. (So ganz stimmig scheinen mir meine Überlegungen noch nicht zu sein, aber ich taste mich schreibend heran.)

  5. bersarin sagt:

    Ich werde Ihnen morgen antworten, da ich heute bereits auf zu vielen Texthochzeiten tanzte. Und nun komme ich mir – klickerdieklack – wie der Blogger mit den durchgetanzten Wunderhochgeschwindigkeitsschuhen vor. Postmoderne eben. Faible für Frauenschuhe.

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