Ich bin ja kein Historiker oder Politologe, zum Glück, sonst wäre ich nicht ich selbst. Ich stünde in Diensten. Deswegen habe ich mich zur richtigen Zeit frecherweise meinem eigenen Studium und letztlich meinen eigenen Themen gewidmet. Allerdings fand ich damals noch ziemlich gute Rahmenbedingungen vor, während das gleichbenannte Studium heute ein 08/15-Studium ist, das der Herstellung von Arbeitskräften dient, die dann aber doch nicht benötigt werden. Sorry. Immerhin hat man da jetzt mal so richtig durchgegriffen, bei den Geisteswissenschaften. So mein Eindruck, der natürlich völlig falsch ist. Die Wahrheit ist: ich kann mich eben nicht gut anpassen, wahrscheinlich weil ich nicht im Kindergarten war und mein Leben in der außerfamiliären Gemeinschaft erst auf dem Bolzplatz begann. Warum ich nicht im Kindergarten war? Nun, ich wollte einfach nicht und hab mich demzufolge gegen meine Eltern durchgesetzt, auch frecherweise. Heutzutage ist natürlich alles anders, das sieht man schon an den Bolzplätzen, denn wenn es sie überhaupt noch gibt, sind sie eingezäunt. Richtig so!
Zaun drum und gut
Vor & zurück & immer im Kreis
Die Vorstellung, es habe mal ein Goldenes Zeitalter gegeben, geht in Europa auf Hesiod zurück. Nach dieser Ansicht konnte alles nur immer schlechter werden, selbst wenn das ein oder andere besser wird, die landwirtschaftlichen Methoden zum Beispiel. Die christliche Vorstellung macht daraus eine Art Kreisbewegung bis hin zum Jüngsten Tag, an dem autoritär abgerechnet wird und der eine Mensch ins Paradies kommt, der andere in die Hölle, endgültig und nicht nur für 1000 Jahre. Philosophen, zumindest jene, die gemeinhin zu den Idealisten gerechnet werden, gehen dagegen davon aus, daß früher fast alles schlechter war (außer der Ritterroman, der war natürlich besser als dieses moderne Geschreibsel), sich nun aber Stufe um Stufe alles zum Besseren hinbewegt. Doch nicht nur Idealisten denken so. Auch die Anhänger von Ideologien und vieler Religionen sind vom Besserwerden überzeugt, so wie die sogenannten Kommunisten und die sogenannten Kapitalisten – alle wollen immer nur das Beste, bis zum bitteren Ende.
Das ist natürlich alles sehr vereinfacht gesagt. Im Moment scheint jedenfalls die Welt für nicht wenige Erdenbewohner eher die Hölle zu sein, während ein kleiner Teil sich zu retten versucht, ökonomisch, ökologisch, moralisch und auch ganz in echt. Das ist aber keineswegs, da dies ja immer auf Kosten der Schwächeren geschieht, der Weg hin zum Besseren, sondern immer noch und auf ewig der Krieg aller gegen alle, bellum omnium contra omnes, wie der Lateiner sagt. Dieser sagt auch Fressen und Gefressen werden, und ja, denkt man mal darüber nach, kommt man immer zu dem Schluß, das es genau so ist. Was also tun? Ich zum Beispiel mache um kurz vor 12 Uhr mittags immer die Fenster zu, weil die „schrecklichen Berliner Glocken“ (Holz/Schlaf: Die Familie Selicke. Erster Aufzug.) der gegenüberliegenden protestantischen Kirche hereindröhnen, als wolle man den Ungläubigen eine Vorstellung davon verschaffen, wie die Hölle klingt. Aber was kann man noch tun, außer die Fenster zu schließen? Glossen schreiben, Bücher verfassen, Krötentunnel bauen? Abrüsten, keine Tiere mehr essen, Medikamente kostenlos an die Armen der Welt abgeben? Zum optimistischen Fatalisten mutieren? Ich habe keine Ahnung.
Umfrage, rückbezüglich
Ich mache täglich eine repräsentative Umfrage mit mir selbst, einfach um herauszufinden, was ich an diesem Tag zu tun gedenke. Meistens weiß der Fragesteller die Antwort schon im voraus. Ist diese gegeben, machen sich Fragesteller und Befragter gemeinsam an die Arbeit, auf daß etwas Sinnreiches herauskommen möge und, das können Sie mir ruhig glauben, etwas Lebensunterhaltsicherndes. Auch dieser kleine Text gehört in gewisser Weise dazu, selbst wenn Sie ihn nicht kaufen können.
So, nun aber wieder an die Arbeit, die ich zu tun mir in die Hand versprochen habe. Das Leben ist eben eine Baustelle, das weiß man doch.
Alles fließt
Gierig sei der Mensch, verfressen, wollüstig und frei. Solch eine Forderung findet sich eben nicht in den großen literarischen Werken der Menschheit, nicht mal in denen, die dem belesenen Zeitgenossen sofort einfallen. Viel eher ist noch die forderndste Schrift, der rabiateste Text nicht mehr als ein Herantasten an all das, was der Mensch zu tun fähig ist, im besten und im schlimmsten Fall. Ein guter Autor weiß, daß zwar der Text mitunter schlauer ist als er selbst, aber auch, daß Sprache nicht überall hinreicht, sondern letztlich immer nur andeutet, nur ein Hauch ist in der Welt. Natürlich wird immerzu versucht, aus Sprache Waffen zu schmieden, um sie etwa zu Propaganda- oder Werbezwecken einzusetzen, so wie auch die Musik, die Malerei, die Fotografie und all die anderen Künste dazu immer wieder mißbraucht werden, manche sagen auch gebraucht, weil mitunter der Zweck die Mittel heilige, angeblich. Die Grenzen sind natürlich fließend und die Frage nach der Aufgabe von Kunst und Literatur führt immer wieder zu Streit, in dem es um Besitzstandsrechte und grundstürzende Wahrheiten geht, ums Rechthaben und Rechtbehalten, um den Eintrag in die Annalen der Literaturgeschichte, ums Nachwirken der eigenen Werke und so weiter. Mit einem Wort, es ist ein ständiges Tohuwabohu. Wie schön kann da ein einzelner Text, ja sogar ein einzelnes Wort sein, wie wohltuend ein wunderbarer Roman, ein Gemälde, eine Symphonie oder was auch immer. Wie sagte Heraklit ganz richtig: „In die gleichen Ströme steigen wir und steigen wir nicht; wir sind es und sind es nicht.“
Im Rahmen der Möglichkeiten
Gestern hörte ich zufällig im Deutschlandfunk eine Sendung zum 25jährigen Bestehen des Erasmus-Programms. Es geht in diesem europäischen Programm ganz wesentlich um die Förderung von Ausstauschstudenten. Ebenfalls gestern las ich, daß der Fußballspieler Miroslav Klose noch mit zwanzig Jahren in der Bezirksliga, der siebten Liga, gespielt hat und daß heutigentags der Sprung von dort in die höchste Spielklasse unmöglich sei, weil ein Zwanzigjähriger viel zu viel verpaßt hätte, wenn er in diesem Alter noch nicht gefördert worden wäre. Nun ja, wenn man in einer Zeit groß geworden ist, in der Förderung Privatsache derer war, die es sich leisten konnten und wollten, dann sieht man mit einiger Neugierde auf diejenigen, die dieses System nun heutzutage durchlaufen. Auch im literarischen Bereich wird ja inzwischen heftig gefördert, vorbei die Zeiten, in denen älter werdende Männer in Frankfurt, München und Hamburg bestimmten, wer denn dazugehört und wer nicht. Heutzutage gibt es Literaten, die erfolgreich sind, obwohl sie nicht einmal trinkfest erscheinen. Die Zeiten haben sich also geändert, der Einzelne gerät in geregelte Zusammenhänge und muß sich beweisen, bevor er in neue Zusammenhänge gerät und sich wieder durchzusetzen hat. Interessant, wie gesagt, doch für mich wäre das nichts gewesen – allein dieses ständige Auftauchen auf Gruppenfotos durch die Jahre und Jahrzehnte erscheint mir gruselig. Außerdem wäre ich auch niemals für etwas ausgewählt worden, zu hibbelig, zu eigen, zu frech. Abgesehen davon habe ich das Erasmus-Programm immer für eine europäische Heiratsvermittlung für Studenten gehalten, was ja nicht das Schlechteste ist, mich aber nicht interessiert, und mir etwa ins Schreiben reinquatschen zu lassen, wäre mir nie eingefallen. So bin ich eben, doch zum Glück bin ich nicht der Einzige, dessen Leben nicht anhand von Gruppenfotos aufzufädeln ist, denn es gibt sie noch, die Eigensinnigen und Eigenbrötler, die ohne jede Absicht Unangepaßten – denn an was hätte man sich schon anpassen können, damals, frage ich.
Keine Ahnung
Wer wird wohl Fußball-Europameister? Geduld, Kinders, Geduld! Das Eröffnungsspiel und das folgende Spiel am gestrigen Abend habe ich schon mal verpaßt. Erst habe ich mein Motorrad geputzt, dann mit einer Freundin ein Bier in der Kneipe getrunken, mit dem Rücken zum Bildschirm. Das Putzen war notwendig, weil ja nahezu jede deutsche Stadt, so auch Berlin, mehr aus Bäumen als aus Häusern besteht, was an sich schön ist für uns Germanen, nur daß diese Bäume Harz versprühen wie Martin Walser seine Altmännersexphantasien. Also putzen, was nicht schnell gehen kann, weil man bei solcherart Tätigkeit eigentlich immer angesprochen wird und also ein Schwätzchen hält über Fahrgewohnheiten, Hausstrecken und so weiter. Die wichtigen Termine der EM habe ich mir natürlich in den Kalender geschrieben, also die, an denen die deutsche Mannschaft spielt und die irische. Fragt mich jemand, wer Europameister wird, sage ich Irland. Hat eigentlich schon einer mal geschrieben, daß der Löw nächstes Jahr Trainer in München wird? Er testet jetzt schon mal seinen zukünftigen Kader. Aber was rege ich mich auf, ich seh mir einige Spiele an, hoffe auf Spannung und Schönheit, der Rest ist mir schnuppe, auch die immer mal wieder zu hörenden Gehässigkeiten gegen den Fußball, weil es da angeblich nur noch um Geld ginge. Hallo! möchte man da rufen, bei den allgegenwärtigen Produkten der Sexindustrie geht es auch nur um Geld – verzichtet man deshalb auf die Liebe oder auf Erotik? Naja, alte Garde plus einem etwas kümmerlichen Nachwuchs an Möchtegernintellektuellen, sollnse sich eben aufregen, statt einfach den Mund zu halten. Wenn ich mich über alles aufregen würde, was ich nicht begreife, hätte ich ausreichend zu tun, aber da ich ja ohnehin ausreichend zu tun habe, rege ich mich nicht auf. Das ist ganz einfach. Der von Friedrich dem Großen getätigte Ausspruch, jeder solle nach seiner Façon glücklich werden (den die Zeitgenossen aber gar nicht kannten, von ein paar aktenlesenden Beamten mal abgesehen), ist mir immer schon geläufig gewesen, allein aus Eigennutz. Die liebste Sportart Friedrichs war übrigens das Spießrutenlaufen, nach allem, was man hört.
Verzicht & Ästhetik
Vor wenigen Tagen erst sagte mir eine gute Freundin, ich sei doch eher protestantisch als katholisch. Nun, ich bin weder das eine noch das andere. Die Einschätzung beruht aber sicher darauf, daß ich relativ stur meine Arbeit mache und am ehesten darauf verzichte, mich öffentlich sichtbar zu vergnügen. Muß ich hingegen nicht verzichten, auf Theater, Essengehen oder Reisen, tue ich es auch nicht. Das ist ganz einfach. Zugute kommt mir aber sicherlich meine Abneigung gegen Erpressung, die ich in den Kinder- und Jugendjahren ausbildete, wahrscheinlich deswegen, weil ich schon immer eine Abneigung gegen die glücklichen Gesichter hatte, die nur dann urplötzlich da sind, wenn etwas verteilt wird. Schokolade, Spielzeug bis hin zu Gratifikationen für besondere Leistungen, die man für andere erbringt. Ich weiß noch, wie ich von Verwandten, die uns besuchten, eine Tafel Schokolade bekam, die nach Pattex roch, weil das Sammelbild rausgenommen und dann wieder alles verklebt wurde. Ich war also nicht gut genug für Schokolade und Sammelbild, welches wohl dem eigenen Kind gegeben wurde, damit es sich über die Maßen freue. Der nämlich freut sich sowieso nicht, werden die Verwandten sich gesagt haben, der tut uns ohnehin wieder Plastikreptilien unter die Bettdecke, oder macht noch Schlimmeres. Hat das Belohnungsprinzip für mich also keine Bedeutung? Tue ich nur Dinge, für die es ohnehin keine Belohnung geben wird? Nun, so möchte ich das nicht sagen, aber zum Beispiel wochen- oder monatelang fürchterliche Arbeit für andere Leute machen, um dann drei Wochen in der Südsee zu plantschen, käme mir nicht in den Sinn, weil ich mich dann selbst erpressen würde. Das wäre ja wohl das Allerletzte, denn dann würde ich mir ja selbst das Recht verleihen, zu genießen, anstatt es als eine glückliche Fügung zu begreifen, es auch mal tun zu dürfen. Mein Mutter sagt seit Jahrzehnten, ich könne nicht feiern, doch das stimmt so nicht. Ich will einfach nicht zur Belohnung feiern dürfen oder eine Reise machen dürfen, sondern das Leben immerzu genießen, weil es an sich schön sein kann, selbst wenn mir der ein oder andere Zeitgenosse das nicht gönnt. Ich sehe natürlich ein, daß es eine Frechheit ist, das Spiel nicht in Gänze mitzumachen und sich auch mal mit sich selbst wohlzufühlen, das ist sicher irritierend, doch so lange ich mich dabei amüsiere, kratzt mich das nicht. So viel Selbstsucht muß bei aller Selbstzucht schon sein. Die Schokolade habe ich damals übrigens weggeworfen, ich mochte die Sorte sowieso nicht.
Die Maschine läuft
Brot und Spiele, in manchen Jahrhunderten garniert oder gar ersetzt durch Gottesdienst und Gebet – das ist nach wie vor das beste Mittel zum Machterhalt. Dazu bedarf es einer Gesellschaft, die in sich ausreichend beweglich ist und Individualismus aushält, denn in Diktaturen funktioniert das Konzept heutigentags nicht mehr. Der Kern eines Spektakels, eines Events, darf allerdings nicht beschädigt werden, darauf ist zu achten. So wie die „Drei Tenöre“ trotz allem nicht die Oper ruiniert haben, so kann auch eine Fußball-Europameisterschaft als werbeträchtiges und machtpolitisch nutzbares Spektakel nicht den Fußball an sich ruinieren, selbst wenn die Massen nur den Abklatsch des Eigentlichen sehen können und sich nur amüsieren, weil eben Gelegenheit ist. Menschen, die vor lauter Freude ganz aus dem Häuschen sind, kennt man ja etwa auch von der Wahlberichterstattung – da jubeln Menschen, weil ihr Kandidat oder ihre Partei gewonnen hat. Trotz dieser seltsamen und mir völlig unverständlichen Ausbrüche muß unser Gemeinwesen ja adäquat gelenkt und verwaltet werden, so daß das Spektakel eher die Verpackung ist als die Sache selbst. Den Blick auf das Wesentliche zu lenken, das erscheint mir in unserer Massenkultur die wirklich ausschlaggebende Kunstfertigkeit zu sein, die manche Menschen beherrschen und die meisten eben nicht. Das muß wahrscheinlich so sein, das sind die Verhältnisse.
Punktuelle Wichtigkeit
Heute morgen war ein schwarzer Punkt auf der Sonne. Ich habe geschlafen, genau so wie etwa bei der letzten Sonnenfinsternis, als im Berliner Mauerpark die Massen der Sonne gehuldigt haben. Die Venus also, die von uns aus gesehen vor der Sonne herschiebt, der sogenannte Venus-Transit. Eigentlich ist aber gar nichts passiert, weder Sonne noch Venus haben etwas gespürt. Betrug also? Das wohl weniger, aber eben eher nur ein Medienspektakel und ein Guck-in-die-Luft. Tut ja keinem weh, kann man also machen, doch wenigstens den Himmel hätte man schon überall freiräumen sollen, finde ich. Die Venus sieht man übrigens dauernd, das ist morgens und abends bei klarem Himmel der Morgen- bzw. Abendstern, hell und klar und silbern.
Auch punktuell, aber von dann doch eher nachhaltiger Wirkung ist ein anderes Ereignis, daß nämlich mein Neffe Sebastian sein Abitur bestanden hat! Gestern bekam ich die Kunde per SMS. Also wenn das nicht wichtiger ist als so ein Fleck auf der Sonne, der dann wieder weg ist, dann weiß ich’s nicht! Echt ma‘! Was mir übrigens, betrachte ich nun die Fotos des Venus-Transits, sehr gefällt, ist die Farbgebung, dieses Schwarz-Gelb. Da bin ich mir mit Sebastian sicher einig, auch wenn er den Fleck auf der Sonne wohl auch nicht gesehen hat, denn nach dem Abitur ist doch wohl eher Faulenzen und Feiern angesagt. So lange einem der Himmel nicht auf den Kopf fällt …
Karawanserei
Das Wort „Karawanserei“ fiel mir seltsamerweise ein, als ich dies dort las. Wie schützt sich der Urheber einer wie auch immer gearteten „Ware“, der Macher eines „Produkts“, der Verfechter eines künstlerischen Weges gegen unsachliche Beschreibungen seiner Arbeit, gegen Polemik, die mit dem Habitus ernsthafter journalistischer Recherche daherzukommen trachtet? Das fragte ich mich, und da fiel mir dieses Wort ein, Karawanserei. Vielleicht fiel es mir deswegen ein, weil es auch im Netz Orte gibt, in die man einkehren kann, LITBLOGS.NET etwa.