„Ich bedauere, Ihnen keine andere Mitteilung geben zu können und hoffe, dass Sie eine andere Möglichkeit finden werden, das Vorhaben dennoch zu realisieren.“

Na, so ein paar Mal habe ich mich, so beantworte ich jedes Jahr aufs neue die immer gleiche Frage, durchaus schon beworben um das Arbeitsstipendium deutschsprachige Literatur des Berliner Senats, Senatsverwaltung für Kultur und Europa – I A Am, Abteilung Kultur – Referat I A. Hat aber wieder mal nicht hingehauen, wie ich heute per E-Mail erfuhr. Muss der Text, mit dem ich mich bewarb, eben bleiben wie er ist und wo er ist. (Tut mir ja auch leid, aber ich hab einen neuen.) 348 Schriftsteller haben sich übrigens beworben, 41 haben was bekommen. Was ist denn das für eine Quote, frage ich und rege mich am Ende noch auf – dann muss man, sage ich, eben mehr Geld ins System geben, wenn es denn nicht für alle reicht! Schon mit knapp 8,4 Millionen ist man in Sachen Vollstipendium für ein Jahr dabei, wenngleich man damit auch 8,4 Kilometer Fahrradweg bauen kann. Allerdings kann man mit 16,8 Millionen beides machen! Schon mal drüber nachgedacht? Aber ich will mich natürlich nicht ernsthaft beschweren und mich damit um die Chancen für das nächste Jahr bringen, falls es das Stipendium dann noch gibt, und so veröffentliche ich meine Gedanken auch nur auf meiner eigenen Website. Besser is‘! Liest ja keiner. Was übrigens auch noch gut wäre, wenn man sich anonym bewerben könnte, wird vielerorts so betrieben, denn dann ginge es womöglich wirklich nur um die literarische Qualität des Textes und nicht um irgendwas anderes, eine Bemerkung, mit der ich natürlich nichts angedeutet haben will. Doch wie heißt es so schön, Die Hoffnung stirbt immer am schönsten, und so werde ich mich auch im nächsten Jahr mit einem neuen Text, wie gesagt soeben begonnen und schon voll in der Mache, bewerben. Ach ja, bevor ich es noch vergesse – was den am Ende der Absage-Mail geäußerten frommen Wunsch angeht, ich möge eine andere Möglichkeit finden, das Vorhaben dennoch zu realisieren: klar doch, wir finden alle eine Möglichkeit! Sonst hätten wir ja, wollten wir uns bewerben, nix, aber auch garnix vorzuweisen. Also weiter wie ein Vollidiot im Nebenjob (oder Brotberuf) geschuftet und jeden Cent umgedreht, weiter am Text, an den Texten gearbeitet, auf dass irgendwann, zum Beispiel im nächsten Jahr, ein paar Brosamen abfallen mögen. Ich halte Sie auf dem Laufenden …

Norbert W. Schlinkert. Der Friedhof der Trauermücken

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Komplexes schreiben I

Nachdem mir kürzlich der Pfirsich-Text misslang, die alles tragen sollende Figur und der Text selber wollten nicht zusammenkommen, so etwas passiert durchaus nicht selten, sitze ich nun seit einigen Tagen an einem neuen Text, einem Roman, der sich, wie man so sagt, gut anlässt. Der Anmaßung, in der dritten Person Singular zu schreiben, bin ich nicht erlegen, nein, nein, ich berichte als ein Ich, auch wenn es vollkommen unmöglich erscheint, dass ein Erzähler im Nachhinein dies alles zu erzählen weiß. Welches Nachhinein, so fragt man sich naturgemäß, doch ein Roman ist immer auch ein Spiel mit Regeln, an die zu halten allen aufgetragen ist, dem Verfasser, dem Leser und den handelnden Figuren. Niemand kann ausbrechen, ohne alles zu zerstören, wenngleich die Figuren, die poetischen Ichs, die denkbar größte Freiheit haben, selbst die des  – textimmanenten – Ausbruchs. Ergo bedeutet Schreiben immer auch vorauszugehen und zugleich zu folgen.

Norbert W. Schlinkert. Die Bühne des Lebens

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Norbert W. Schlinkert: JEDER PFIRSICH Erzählender Essay, vulgo Roman: Fünftes Kapitel.

Norbert W. Schlinkert

JEDER PFIRSICH

Erzählender Essay, vulgo Roman

Fünftes Kapitel

Hallo Text. Hier spricht Dudu. Ich trenne mich von Dir. Was denkst du, wer du bist? [Es hätte so schön werden können. Aber aus. Vorbei.]

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Norbert W. Schlinkert: JEDER PFIRSICH Erzählender Essay, vulgo Roman: Viertes Kapitel.

Norbert W. Schlinkert

JEDER PFIRSICH

Erzählender Essay, vulgo Roman

Viertes Kapitel

Dächte der Text an dieser Stelle selbst nach über sich selbst, so würde er sicher zum besten geben, wie prototypisch er doch sei, ein typischer Romantextbeginn eines Autors, der aus dem Lameng einen Text, eine Geschichte entwirft. Wachsen lässt, wuchern, blühen, was auch immer. Um dann zu sehen, ob es funktioniert. Oder eben nicht. In meinem Falle, so der Text, ist die Hauptfrage zunächst die, ob es diese Dudu zu einer mindestens ausreichenden Lebendigkeit bringt. Das dieses Unterfangen befeuernde Rätselhafte, so viel kann gesagt werden, ist erst einmal als solches gesetzt, etwa die Frage betreffend, wer wen in diesem vermeintlichen Film spielt und ob es die Mutter und diesen Dietmar überhaupt gibt, mal ganz abgesehen von diesen Fünfen im Halbkreis, Spreizer, Mimi, Kiki, Bibi und Vivi, die mir aber noch recht durchsichtig erscheinen, ohne Profil gewissermaßen, womöglich nichts weiter als typische Jugendliche ohne besondere Eigenschaften. Aber was soll ich – als Text – machen, sie stecken nun mal in mir, und außerdem sind meine Eingriffsmöglichkeiten begrenzt. Text bin ich, nichts weiter als Text. In mir können die größten Schweinereien begangen werden, die schönsten Augenblicke geschehen, die fürchterlichste Langeweile kann in mich eindringen und sich Platz nehmen, während ich nur zusehen kann, zuhören, auch mitfühlen selbstverständlich. Wird in mir eine Figur, ein Mensch Opfer einer Gewalttat, so leide ich. Durchaus. Oftmals ahne ich früh, wen es trifft. Diese Dudu zum Beispiel ist ganz sicher in Gefahr, schon allein, weil sie es zu sein scheint, die mich schreibt. Oder sollte sie sowohl mich als auch alle Leser täuschen? Schreibe womöglich ich selbst mich als Text, denke aber ganz traditionell, ich werde geschrieben? Bin ich gespalten, schizophren? – – – Gehe ich jetzt zu weit, werde ich gelöscht? Oder schreibt doch Dudu dies und wird den Teufel tun, mich zu löschen? Dudu – hörst Du mich? Gibt es Dich? Dudu?

=> Fünftes Kapitel

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Norbert W. Schlinkert: JEDER PFIRSICH Erzählender Essay, vulgo Roman: Drittes Kapitel.

Norbert W. Schlinkert

JEDER PFIRSICH

Erzählender Essay, vulgo Roman

Drittes Kapitel

Am nächsten Tag werde ich entlassen. Gefeuert! Man habe ein richtiges Mädchen gefunden, die bereits gedrehten Szenen werde man bearbeiten, der Kopf der neuen Darstellerin passe sicher perfekt auf meinen Körper. Der Regisseur, ich glaube er heißt Dietmar, lacht auf, sagt etwas von ausstehender Gage und dem Kleingedruckten, dass aber natürlich, harhar, heutzutage gar nicht mehr kleingedruckt sei. Gutgut, sagt er noch, juhtjuht, und verschwindet ins Nichts. Weg ist er. Ich gebe Spreizer, Mimi, Kiki, Bibi und Vivi, die in der Cadillac-Attrappe herumlümmeln, die Hand, alle nicken mir bittersüß zu, ohne mir ins Gesicht zu sehen, keiner sagt etwas und dann stehe ich auch schon mit dem Rücken zur Halle auf dem schwarzen Schlackenboden und ergebe mich dem Himmel, der sich erdrückend über mich beugt. Direkt vor mir erkenne ich eine besonders hohe und besonders gelbe Wolke zwischen den sich gen Horizont erstreckenden alten Montagehallen aus rotem Backstein und dem gläsernen Neubau einer Verkaufsstelle für E-Autos, E-Roller, E-Fahrräder, E-Langkaufskier, E-Tauchboote, E-Kleinflugzeuge, E-Puppen etc. Ein riesiges E-Plakat hängt neben dem Gebäude, blaue Schrift auf safrangelbem Grund. Alles flimmert. Das also, denke ich, ist meine erste Rolle als Mädchen gewesen, aber jetzt hat man ja ein richtiges Mädchen gefunden, das richtig menstruiert und das Mädchensein nicht zu spielen braucht. Dabei habe ich das sicher gut gemacht. Was wohl meine Mutter sagen wird, wenn ich plötzlich einen anderen Kopf habe, frage ich mich still, doch der Witz zündet nicht. Ein Rohrkrepierer. Ich gehe ein paar Schritte und betrete die Verkaufsstelle für E-Autos, E-Roller, E-Fahrräder, E-Langlaufskier, E-Tauchboote, E-Kleinflugzeuge, E-Puppen etc., worauf jemand prompt Cut ruft und Rumoren einsetzt und eine kleine Dralle mir einen schwarzen Kaffee in einem Pappbecher bringt, Dietmar aus den Kulissen winkt, während zugleich der Produzent schwergewichtig die Treppe des dreistöckigen Containerturm heruntersteigt, ein untrügliches Zeichen dafür, dass nun Feierabend ist, für mich jedenfalls. Ich hätte Lust zu kündigen.

=> Viertes Kapitel

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Norbert W. Schlinkert: JEDER PFIRSICH Erzählender Essay, vulgo Roman: Zweites Kapitel.

Norbert W. Schlinkert

JEDER PFIRSICH

Erzählender Essay, vulgo Roman

Zweites Kapitel

Hier beginnt es. Das zweite Kapitel ist das erste. Die Personen werden eingeführt, und zwar ohne Betäubung in die Köpfe der Leser. Das tut manchen sehr weh und sie lesen nicht weiter. Für die, die weiterlesen:

Ich bin Dudu, sage ich, und mir werden oft Vorhaltungen gemacht, weil ich meinen richtigen Namen nicht sagen will. Richtig heiße ich Duygu, sage ich, aber Dudu ist besser.

Ich stehe im Nieselregen, während die fünf Menschen unter einem Überbau auf einem halbrunden Betonblock sitzen, auf dem fünf Sitzgitter angebracht sind, schmutziggelb, schmutzigrot, schmutzigweiß, schmutziggrün und braun, das ist gut zu erkennen, denn alle die da sitzen tragen Hosen und so ist im Schritt die Farbe des Sitzgitters zu sehen. Vier Mädchen und ein Junge sitzen da, halb um mich herum, wie in einem kleinen antiken Theater. Sie starren mich an. Der Junge sitzt in der Mitte, er trägt eine Cordhose in Jägergrün, sie ist sehr eng und man kann sehen, wie der arme kleine Penis eingeklemmt ist und die armen Hoden ebenso. Bei den Mädchen, die Leggins tragen wie früher nur die Engländerinnen, sieht man den Schlitz, und auch der Schlitz wirkt eingeklemmt, auch wenn die Hosen elastisch sind, und auch bei mir wäre, obwohl ich eine blaue Jeans trage, der Schlitz zu erahnen, doch ich habe meine Tage und mir eine Binde in den Slip geschoben, die mir meine Mutter gegeben hat heute morgen. Sie ist ganz rot geworden dabei.

Du weißt schon, hat sie gesagt, und dass ich heute die weiße Hose nicht tragen soll, nicht tragen darf. Eine gute Gelegenheit auch, die weiße Wäsche zu machen, sagte sie noch, bevor sie sich in Luft auflöste.

Bis später, Mama, sagte ich.

Und wie heißt ihr, frage ich in die Halbrunde.

Du bist die Neue, fragt es zurück wie aus einem Mund.

Ja, sage ich und spüre, wie sich meine Füße nach innen drehen, bis die Schuhspitzen sich berühren.

Der Junge in der Mitte spreizt die Beine und drückt so die Mädchen ein wenig zur Seite.

Ehj, sagen alle vier.

Ich heiße Spreizer, sagt der Junge ernst, und das ist Mimi, das ist Kiki, das ist Bibi und das Vivi.

Hallo, sage ich und gebe Spreizer, Mimi, Kiki, Bibi und Vivi die Hand. Das machte man früher im Osten so, das hat der Regisseur in der Vorbesprechung mehrmals gesagt, und dass damit dann die Szene endet.

Cut, brüllt einer, danke, ein Rumoren beginnt und ein Getuschel, etwas quietscht metallisch. Ich schiebe meine Hand in meine Hose und ziehe die Binde heraus, rieche daran und werfe sie mit Schwung Spreizer ins Gesicht, der sie achtlos und ohne mit der Wimper zu zucken zu Boden fallen lässt. Dann gehen wir uns in dem Wohnwagen ganz hinten in der Halle abschminken und verwandeln uns wieder in Erwachsene. Nur Bibi bleibt wie sie ist, und Spreizer auch, irgendwie. In Wirklichkeit heiße ich ebenfalls Dudu, nicht aber Duygu.

=> Drittes Kapitel

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Norbert W. Schlinkert: JEDER PFIRSICH Erzählender Essay, vulgo Roman: Erstes Kapitel.

Norbert W. Schlinkert

JEDER PFIRSICH

Erzählender Essay, vulgo Roman

Erstes Kapitel

Wir stehen in der entscheidenden Schlacht. Es geht um Material und es geht um Quantität. Auch das Gute, das Schöne, das Menschenfreundliche benötigt Menge und Masse, so viel davon wie möglich. Warum? Weil das Böse, das Hässliche und Abstoßende aus dem vermeintlichen Nichts heraus ungeheure Mengen an Mist erzeugen kann, das Gute und das Schöne aber nur über begrenzte Ressourcen verfügt. Sehr begrenzte. Merken. Ich überlege, ob ich statt des Punktes nach Merken ein Ausrufezeichen setzen soll. Ich lasse es bleiben, weil ich nicht rufe. Sagen reicht: Die Künstliche Intelligenz lernt aus allem, was im Netz steht, und je mehr bösartiges Zeugs sie findet, desto mehr arbeitet die KI damit, bis sie schließlich ganz emotionslos und wie selbstverständlich mit ihrem Können und Wissen die Macht übernimmt über die Menschheit. Da hilft dem Menschen dann irgendwann nur noch, sich selbst in die Steinzeit zu versetzen, indem er alle Energie kappt, um der KI den Lebenssaft zu entziehen. Gesagt werden muss zudem, wie sehr das Böse auch im Guten fest verankert ist, in die Eingeweide ist es eingewachsen, und wie böse und zerstörerisch ich selbst in meinen Gedanken agiere, auch wenn ich nicht das geringste Verständnis aufbringen möchte für die Bösartigkeiten anderer. Alle Schriftsteller sind inwendig böse, auch das sei gesagt, egal wer sie oder was sie sind, sie gehören, um überhaupt schreiben zu können, unzweifelhaft dem Bodensatz des Daseins an. Doch sie sind alle auch einzeln, vereinzelt, je eine Zelle nur. Während das WordWideNet aber allen in der Tat bösen Menschen dieses Planeten unendlich scheinende Möglichkeiten des Handelns ermöglicht, profitiert kein einziger Schriftsteller vom weltweiten Netz, ganz im Gegenteil schadet ihm der ganze Unsinn immens. Doch sind da nicht auf den Buchmessen des Landes zehntausende Bücher materialhaft am Ort des Geschehens präsent, inbegriffen die paar Dutzend, die es auf die Bestsellerlisten schaffen und also gekauft und womöglich auch gelesen werden? Ja, schon, sage ich, aber das ist unerheblich und nichts weiter als Umweltverschmutzung. Doch nun endlich zur Handlung, die im zweiten Kapitel losbricht. Oder loszubrechen scheint.

=> Zweites Kapitel

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Norbert W. Schlinkert: JEDER PFIRSICH. Erzählender Essay, vulgo Roman: Vorbemerkung.

Norbert W. Schlinkert

JEDER PFIRSICH

Erzählender Essay, vulgo Roman

Vorbemerkung

Ich schwanke. Soll ich das, was ich zu erzählen habe, humorlos und bitterernst oder aber frisch, frech, frei und fröhlich niederschreiben? Zur Niederkunft bringen. Einige der von mir am meisten bewunderten Schriftsteller, es sind alles Männer, tun es ausschließlich auf die ernste Weise, Hans Henny Jahnn zum Beispiel oder, als lebendes Exemplar, Jon Fosse, andere aber schreiben zumeist frischgemut freche, freie, fröhliche und abgründige Texte, etwa Flann O’Brien oder Samuel Beckett, so dass ich mich schlecht entscheiden kann, denke ich an diese Autoren. Denke ich an mich selbst, so stelle ich fest, nichts Witziges oder Absurdes schreiben zu können, ohne es zugleich vollkommen ernst damit zu meinen. Todernst. Bitterernst. Albernes Zeug ist mir zuwider. Und Schluss.

=> Erstes Kapitel

 

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Kim de l’Horizon hat für essen Roman „Blutbuch“ den Deutschen Buchpreis 2022 erhalten!

Kim de l’Horizon hat für essen* Roman „Blutbuch“ den Deutschen Buchpreis 2022 erhalten! Glückwunsch! Kim widmet den Preis, so das Börsenblatt, den Frauen im Iran – und dies mit einer überraschenden Performance. Die Performance bestand darin, sich mit einer Haarschneidemaschine die Kopfbehaarung wegzurasieren. Kann man machen, habe sogar ich schonmal gemacht, eine Kunstaktion zusammen mit anderen Künstlern in der Schwerter Fußgängerzone, mit Musik und allem Zipp und Zapp. Muss so 1984 gewesen sein und kam eher nicht gut an, wahrscheinlich weil es der Kleinstadt im Ruhrgebiet an einem Bildungsbürgertum mangelte. Letzteres ist, wo vorhanden, natürlich leicht zu begeistern, man klatscht ja so gerne, und dann liest man das Buch „Blutbuch“ aus dieser fremden Welt mal so weg, bekommt dabei womöglich und ganz naturgemäß feuchte und erigierte Geschlechtsteile, und dann hat man ja auch etwas zu bereden beim nächsten Event, Sie wissen schon, was ich meine, und ja, die in der bürgerlichen Blase wissen immer, was sie meinen, und sie klatschen ja auch so gerne, und dann kommt aber auch schon der Buchpreis 2023, und natürlich ist man dann wieder begeistert und so weiter und so weiter. In genau einem Jahr wird das „Blutbuch“ diesem Publikum demzufolge vergessen sein, das ist sicher, denn man klatscht nicht nur gerne, man vergisst auch gerne. Ob das Buch als Kunstwerk jenseits bürgerlicher Buchpreise bleibt, hängt nun aber von der Qualität des Buches, des Textes ab, worüber ich aber nichts zu sagen weiß, bevor ich es nicht in die Hände bekomme und lesen kann. Vielleicht sollte ich mir ja bei Dumont ein Rezensionsexemplar bestellen, könnte ja sein, ich kriege sogar eins.

* Natürlich geht „essen“ garnicht, oder es geht nur insofern, als dass es mir ohne weiteres Überlegen in den Kopf kam und es dementsprechend mal ausprobiert werden kann, sollte, ja muss – wozu sonst ist ein literarisches Blog sonst da! Näheres siehe hier => Weiterlesen
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Als Vorwort getarntes Nachwort eines noch ungeschriebenen Werkes

Lange Zeit dachte ich bei der Zahl 1000, in Worten: Tausend, ausschließlich an tausendjährige Zeiträume. Der Hoffnung, des Grauens, was und wie auch immer. Hier und da rückten zwar auch tausendjährige Eichen in mein Bewusstsein und die Tausendjahrfeiern der ein oder anderen Stadt, aber das blieb immer nebensächlich. Dann aber sprang mich der erste Tausendseiter meines Lebens an, ein berühmter Roman, den ich mir mit Herzklopfen vornahm und am Ende, mit einigen Schwierigkeiten, auch zu fassen bekam. Ich las ihn bis zum Ende durch. Darin war, so schien mir, keine Zeile, kein Wort, kein Satzzeichen zu viel oder zu wenig. Das sollte mir immer Maßstab bleiben, beim Schreiben wie beim Lesen, ganz gleich, wie lang ein Text ist. Im Laufe der Zeit kamen mir dann immer mehr Tausendseiter unter, die alle berühmt sind. Ich las allerdings durchaus nicht jeden Roman dieser Größenordnung durch, denn ich habe mit zunehmendem (Lese-)Alter das Überflüssige immer besser zu erkennen gelernt und manch falschen Tausender unausgelesen zur Seite gelegt. Auch gibt es, das sei gesagt, durchaus nicht selten mittels einer übergroßen Schriftgröße zu Tausendern aufgeblasene Sechs- oder Siebenhunderter, und nicht zuletzt dieses Phänomen machte mir klar, wie erstrebenswert es für manche sein musste, einen tausendseitigen Roman zu erschaffen. Mir allerdings kam diese Idee, die Vermählung von Qualität mit einer vorgegebenen hohen Quantität, niemals nahe genug, um sie mit aller Ernsthaftigkeit anzugehen. Was hielt mich ab? Vielleicht die Idee, es könne sich um Größenwahn handeln? Doch würde sich dieser, wenn denn (notwendigerweise?) vorhanden, nicht während des Arbeitsprozesses vollends abnutzen müssen? Würde sich das Werk denn nicht letztlich über den Autor erheben, ein vollständiges Gelingen vorausgesetzt? In jedem Fall dachte ich lange darüber nach, ob ich denn einen Tausendseiter schreiben will, ob ich mich darauf mit Lust einzulassen bereit bin, und siehe da: ich weiß es immer noch nicht. Vielleicht sollte ich erst einmal mit einem Vorwort beginnen, denke ich, oder mit einem als Vorwort getarnten Nachwort – und dann sehen wir weiter …

Norbert W. Schlinkert. Polaroid 17

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