Lyrik lesen (III): Günter Abramowski

günter abramowski. um den schlaf gebracht. In ders. vom turm. gedichte. hamburg 2012

  

 

 

 

 

 

 

günter abramowski: vom turm. gedichte. elbaol verlag hamburg 2012

 
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Wehe, o Herbst, Du wirst nicht golden!

Zugegeben, ich mag nicht alle Jahreszeiten – in Berlin kann ein langer, dunkler Winter schrecklich sein. Immerhin gewinnen die Prenzlauer Berge jetzt so langsam wieder an Kontur, je weniger Touristenhorden fressend in den Straßen hocken, umso mehr. Am nächsten Morgen sitzen die dann alle auf dem Pott und kacken das gekaufte Lebensgefühl wieder aus, bevor sie mit ihren Rollkoffern davonklackern. Im Winter allerdings, und auch eigentlich nur im Winter, erkenne ich dann meinen Kiez vollständig wieder, denn da hocken die Ratten in ihren Löchern und trauen sich nicht raus. Ja, es gab mal tatsächlich eine Zeit, da war der Kiez nicht von langweiligen Ausländern bevölkert, die genau so gut, weil völlig egal, langweilige Inländer sein könnten, und umgekehrt, sondern von Menschen, die ohne Verabredung und ohne diese kranke Idee, dem eigenen Leben ein Design geben zu müssen, hier wirklich lebten. Das hat nichts zu tun mit einem „früher war alles besser“, aber wenn es nunmal punktuell eine Weile besser war als heute, war es nunmal so. Punkt. Vielleicht wird es für mich ja auch irgendwann Zeit, weiter zu ziehen, bevor ich noch angesteckt werde von diesem dümmlichen Dauerkindergeburtstagspartyleben! Imgrunde reichen allerdings zwanzig Minuten Spaziergang nach Norden aus, ein ganz normales, städtisches Leben zu haben, auch mit den Nachteilen, die es hier auf der „Insel“ Prenzlauer Berg fast nicht mehr zu geben scheint, weil die Armutsverwahrlosung einer Wohlstandsverwahrlosung gewichen ist. Zu Arroganz und Selbstgefälligkeit führt beides. Was tun? Mir ein Hexenhäuschen in den Wäldern Brandenburgs ergaunern, auswandern, eine Hütte auf Stelzen am Meer beziehen? Ich denke darüber nach, während der Herbst langsam die Prenzlauer Berge in ein Laubmeer verwandelt.

Herbst, Du goldener, Norbert W. Schlinkert

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Selbstmord einer Fliege

Heute geschah nichts dergleichen, gestern jedoch kam ich nicht so ohne weiteres davon. Ebenso wie heute las ich also am gestrigen Morgen in Heinrich Schirmbecks epochalem Roman ‚Ärgert dich dein rechtes Auge‘, als plötzlich eine dieser winzigen Fliegen auf den aufgeschlagenen Seiten landete, sicher kaum größer als zwei Millimeter. Mehrmals lief sie auf ihren kleinen Beinchen hin und her, immer wieder eine Kehrtwende beschreibend, bis sie sich dann plötzlich in die Luft erhob, rasend schnell ging das, und sich in meinen halbvollen Kaffee stürzte. Ich sah hinein und erkannte sofort, es war zu spät. Die Fliege war nur noch ein auf der Oberfläche haftender schwarzer Punkt. Ganz offensichtlich hatte sie Selbstmord begangen. Aber warum? War Liebeskummer der Grund, oder Lebensüberdruß, wurde sie von den anderen Fliegen gemobbt, war sie einsam? Das herauszubekommen ist unmöglich, wir werden es also nie erfahren. Den Kaffee entsorgte ich im Ausguß und machte mir einen neuen. Das Leben geht weiter.

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„Das Gefühl, nicht verstanden zu werden“

Da ich im Moment einen unterhaltenden Langtext schreibe, für den ich immer wieder kleine Informationen einholen muß, ihn stimmig zu machen, sehe ich öfter bei Wikipedia nach. Nicht auszudenken, ich müßte jedes Mal in die Bibliothek deswegen. Gestern also sah ich, um einen Dialog zu schreiben, unter Schizophrenie nach, worauf ich das folgende unter dem Stichwort Vorpostensymptome fand: „Die häufigsten Symptome im Frühverlauf der Schizophrenie sind: Unruhe, Depression, Angst, Denk- und Konzentrationsstörungen und Sorgen. Andere Untersucher haben als häufige Frühwarnzeichen bei 72 % der Betroffenen Ruhelosigkeit, bei 64 % Schlafstörungen, bei 62 % Nervosität, bei 60 % Schwierigkeiten bei der Arbeit sowie bei 56 % das Gefühl, nicht verstanden zu werden, gefunden.“ Ist das nicht erstaunlich! So gesehen müßte man in Berlin für ganze Bezirke konstatieren, daß praktisch jeder der Bewohner:innen ziemlich eindeutig Gefahr läuft, schizophren zu werden. Vor allem sehe ich auch für Künstler schwarz, denn beispielsweise das Gefühl, nicht verstanden zu werden, haben wohl nicht wenige – mal ganz abgesehen davon, daß vom Rest der Symptome auch noch eine Menge am Künstler klebt wie Pech und Schwefel. Aber vielleicht sind die Künstler ja selbst ein Krankheitssymptom für die Gesellschaft? Wer weiß! Muß ich gleich mal bei Wikipedia nachschlagen.

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What the fuck ist ein Gedicht!?

Die Wanderpuppe, Norbert W. Schlinkert

Ein großer Dichter, Seamus Heaney, ist gestorben. Da man Gedichte nicht in andere Sprachen übersetzen kann, muß ich Heaneys Gedichte im Original lesen und hören. Das ist, obgleich ich nur mit einem unsoliden Schulenglisch ausgestattet bin, leichter als ich dachte, denn entgeht mir auch manche Bedeutung, so tut sich mir eben auch die ein oder andere auf, die ungemeint sich hineinstiehlt, so wie man einen Stiel durch ein Fenster in einen Raum hineinsteckt, der dann vermeintlich alles kaputtmacht, denn der Stil des Raums verträgt keinen Stiel. Das ist natürlich Blödsinn und hat mit Gedichten nichts zu tun, Kalauerfeinde wetzen sicher bereits ihre Zähne, doch das macht nichts, man hat schon, sobald mir die Sprache durchgeht, kübelweise Häme über mir und mich ausgegossen und tut es noch, womöglich weil manch einer denkt, ich merke es nicht. Also, was ist ein Gedicht? Die Bekleidung eines nackten Eindrucks, eines Gefühls, von fast Nichtgeschehenem mit und als Sprache, denkbar knapp vorbei am Wortlosen? Fast schon Musik? Oder doch eher eine Entkleidung, ein Abwerfen von Ballast? Sicher ist, denke ich, daß ein Gedicht genau so viele Worte und Zeichen enthält, wie es von Natur aus braucht, und natürlich auch die genau richtigen – ich erinnere mich noch an die Zeit, wo Gedichte mit singulären schweren Worten, die singulär anklagen, ziemlich oft als „Betroffenheitslyrik“ gebrandmarkt wurden, nicht selten zurecht, wenn denn alles auf private Rechnung ging. Den Schritt, den Flügelschlag zur Leichtigkeit der Poesie schaffen nicht viele, denn behängt man einen kleinen feinen Moment mit einem zu schweren Wort, kracht er zu Boden und zerspringt. Also, was ist ein Gedicht? Ich habe keine Ahnung! Wahrscheinlich ist es nichts weiter als das Ergebnis des vorsätzlichen Versuchs, eine Geschichte genau so zu erzählen, wie sie es verdient hat, und sei es so kurz wie möglich und so lang wie nötig – wenngleich man so auch das Wesen des Romans charakterisieren könnte. Wahrscheinlich ist die Frage auch falsch gestellt, denn eigentlich müßte sie heißen: what the fuck ist ein gelungenes Gedicht? Na also! (Das oben ist übrigens ein Foto, dem ein Gedicht oder eine kleine Geschichte oder gleich ein ganzer Roman innewohnt.) 

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Bayernmünchnerisierung

Die Bayernmünchnerisierung der Gesellschaft ist ja in vollem Gange, das ist ganz und gar offensichtlich. Gier und Neid bestimmen zunehmend das Bewußtsein sehr vieler Menschen, selbst bei solchen mit an sich guten Charakteranlagen. Denen hilft dann am Ende nur wie auch immer herangeschafftes Geld, das dann für den Erfolg steht oder sogar als solcher gilt. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute ist: ich bin nicht betroffen. Und nu‘ an die Arbeit.

Who's the Best!?

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Ein bißchen Frieden – dank Angela Merkel

„Alle sind sich einig. Nur ich nicht. Ende der Durchsage.“ Soll das etwa witzig sein, wieso fällt mir so ein Scheiß ein, frage ich mich, während draußen der protestantische Glockenterror jeden Augenblick wieder losgehen kann. Is‘ Sonntag. Hätte es das scheiß Gewitter, denke ich dann immer sonntags, nicht gegeben, in das dieser selbstgefällige Schisser Martin Luther geraten ist, dann wäre der nicht wegen seines bigotten Gelübdes Mönch sondern Advocat geworden und es gäbe diesen Glockenterror gar nicht und auch nicht die kaputte Welt drumherum. Zumindest wäre sie anders kaputt. Imgrunde hat Luther, das denke ich auch jeden Sonntag, so ja auch die römisch-katholische Kirche gerettet, denn ohne Feinde kann man sich keine Macht aufbauen oder sie erhalten. Das sieht man beispielsweise gut an den USA und auch an Rußland, die innen und außen immer wieder Feinde aus dem Hut zaubern, man erkennt das aber auch bei jedem Banker und Großunternehmer und Weltkonzern – der einzige Mensch, der zum Machterhalt keine Feinde braucht, ist Angela Merkel, die braucht nur alle paar Jahre das Wahlvieh, so wie der böse Fleischfabrikant das Schlachtvieh. Also, Leute, tut ihr den Gefallen, geht wählen!

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Der Wahl-O-Mat, das unbekannte Wesen

Nur mal ganz kurz, ich weiß, es ist Wochenende – ich hab nämlich mal den Wahl-O-Maten der Bundeszentrale für politische Bildung durchgetestet, und was kommt raus!? Das da, von wegen angeblicher Übereinstimmung meiner Ansichten mit denen der Parteien, wenn man denn die Wahlprogramme ernst nähme:

Was also tun? Wie kriege ich jetzt meine eine Stimme auf die Parteien verteilt, und zwar so, daß sie für das gilt, was die jeweiligen Parteien richtig machen wollen und auf gar keinen Fall für das, was sie ganz bestimmt falsch machen werden? Schwierige Aufgabe! Ich bin ja sowieso dafür, daß jeder Wahlberechtigte zum Beispiel zehn Stimmen hat, die er dann verteilen kann, auch als Negativstimmen. Aber das ist sicher zu kompliziert, denn wenn auch alles im Leben superkompliziert sein darf oder sogar soll, das Wählen muß einfach bleiben – klar. Vielleicht sollte ich meine Stimme doch meistbietend verkaufen! Ich weiß es einfach nicht. Und was ich auch nicht weiß, ist, ob dieser Wahl-O-Mat jetzt eher böse ist oder bald den Friedensnobelpreis bekommt. Mmh. Andererseits sind sechs dieser sieben Parteien ohnehin unwählbar, wenn Sie mich fragen. (Aber mich fragt ja keiner!)

Ist der Wahl-O-Mat böse?, Norbert W. Schlinkert

 

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Verklumpen

Wenn sich Menschen in ihre von außen definierten Mechanismen ganz zurückziehen, werden sie langweilig und banal und verklumpen dann mit anderen, die ebenfalls von außen definiert sind. Manchmal kleben auch Unschuldige fest, kommt sogar öfter vor. Weiß ich nun, daß ich in die Nähe solcher Menschenklumpereien gerate, präpariere ich mich, indem ich mich mit Sarkasmus salbe. Nachdem ich mich nun am Mittwoch ganz ungesalbt sehr an meinem überraschenden Besuch freute, der leider nur kurz da war, mußte ich mich am gestrigen Freitag wieder in Maske und Kostüm werfen. Anstrengend und langweilig ist das. Schuld bin ich natürlich selber, klar, denn ich selbst schlüpfe ja so in eine mir von außen aufgezwungene Rolle. Mag ich also mein Publikum nicht? Das kann man wohl so nicht sagen, es ist eher so, daß ich es nicht mag, Publikum zu haben – das trifft’s eher. Natürlich hake ich so etwas letztlich einfach ab, ich mache meist keine großartige Nachbetrachtung, wenngleich eben doch ein ungutes Gefühl eine Weile mir in den Knochen steckt, ganz ähnlich übrigens dem Gefühl, das eine Weile bleibt, wenn ich einen schlechten Film gesehen habe, denn auch schlechte Filme zwingen mich in fremde Strukturen, in denen ich mich nicht frei bewegen kann. Was tun? Vielleicht nehme ich zu viel Rücksicht, womöglich aus der Befürchtung heraus, nicht mittun zu dürfen – doch warum sollte das so sein, wenn es am Ende doch nur zu Klumpereien und Kumpeleien kommt! So mache ich mich letztlich immer angreifbar, weil ich auf der Bühne der anderen stehe, während die anderen sicher im dunklen Saal sitzen und nur darauf warten, mit faulen Eiern zu werfen. Also Abgang!

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Schweigen & Quatschen

Also wenn ich die letzten Tage mit irgendetwas aufgefallen bin, dann mit unsäglichem Gequatsche. Mündlich wie schriftlich, aber ich steh dazu, denn wenn ich schweige, dann sind die Leute ja so was von irritiert, det gloobste nich! Das schriftliche Quatschen rechne ich mal zum Beruflichen, da geht es darum, Leser so pfiffig wie möglich auf höchstmöglichem Niveau zu unterhalten, sie zu entführen. Sitze ich mal ausnahmsweise in den Öffentlichen beim Volke, so kann ich die lesend Weggetretenen, also Entführten, ja deutlich unterscheiden von einerseits denen, die zwar nicht lesen, sich aber qua Tagtraum selbst entführen und andererseits jenen, die gnadenlos festsitzen in ihrer kleinen Welt, die Armen. Es gibt also drei Arten von Menschen, die in den Öffentlichen von A nach B transportiert werden; die, die miteinander quatschen, lasse ich mal weg, die nerven nämlich derartig, daß man ihnen am liebsten ein höfliches Schweigegebot in die Fresse stopfen möchte! Echt ma‘! Ich lese übrigens auf längeren Zugfahrten auch oft, immer im Eingangsbereich des ICEs auf dem Koffer sitzend, und im Unterschied zum häuslichen Lesen lese ich im Zug meist Romane von Zeitgenossen, zuletzt „Meere“ von Alban Nikolai Herbst, ein wunderbares Buch, einer, wie ich finde, der besten Romane des beginnenden Jahrhunderts. Teilweise las ich den Roman aber auch, das sollte nicht unerwähnt bleiben, auf meinem Balkon, Zigarre schmauchend – man weiß ja, was sich gehört. Jetzt sind die Zigarren so gut wie alle, gähnende Leere im Humidor. Gut also, daß ich erkältet bin, denn wer sich erkälten kann, der lebt, hat aber keinen Bock auf Zigarren, spart also Geld, wenngleich man Geld, das man nicht hat, ohnehin nicht sparen kann, denn Freiheit kann man nicht kaufen, egal was der Gauck sagt, die muß man sich nehmen – und darauf kommt’s ja schließlich an. (Ende der Durchsage.)

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