Erst das Vergnügen, dann die Arbeit!

Aus reinem Trotz habe ich vor vielen, vielen Jahren den alten Spruch „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“ umzudrehen versucht, mir also so oft wie möglich erst einmal etwas gegönnt, um mich dann dem Notwendigen anheimzugeben. Dazu braucht es Selbstdisziplin, die immer wieder neu zu erringen ist. Ich bin bei meinem Vorhaben oft einem großen Mißtrauen begegnet, weil viele Menschen gerne von sich auf andere schließen. Leicht ist das also nicht, das mit der trotzigen Umkehr, aber das hat ja auch niemand behauptet! Das alles fiel mir wieder ein, als ich bei Tainted Talents kommentierte zum Thema der Lustvergänglichkeit.

Wenn also das Leben, mal weitergedacht, ein immerwährendes Ausbalancieren von Lust und Unlust ist, wir uns überdies relativ frei dünken, warum, so die wohl grundsätzliche Überlegung, trotzen wir dann nicht dem primitiven Prinzip der Gier nach Belohnung und holen sie uns einfach, wann wir wollen und wie wir wollen? Danach arbeiten wir dann, gleichsam als Strafe für diese Frechheit, für Lohn oder Gehalt. Ginge so nicht der unschöne Teil des Arbeitslebens besser vonstatten? Nun, wenn ich das wüßte, denn es ist so eine Sache mit dem Vor und Danach, denn nicht die Uhr gibt Auskunft darüber, sondern unser Befinden. Die Gier nach dem Vor kommt ja direkt nach dem Danach wieder, denn die Welt ist rund und alles dreht sich! Heutigentags übrigens fließt bei mir das eine ins andere, und das ist Absicht, ohne daß es deswegen gleich grandios funktionieren müßte. Ich arbeite aber daran!

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Maibrief/1 (2012)

Der Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus! Zwar tun das die meisten von ihnen hierzulande schon etwas früher, doch wie hörte sich das an: der April ist gekommen? Dichten heißt, mit vollem Bewußtsein zu lügen, allein um der Schönheit willen, so wie die Natur Blüten und Strukturen und Farben und Landschaften und was auch immer hervorbringt, allein wegen der Schönheit, die dann allein im Auge des Betrachters liegt. Hätte sich die sogenannte Natur allein an die menschlichen Regeln des Kapitalismus und des Kaufmännischen gehalten, gäbe es das betrachtende Individuum wohl überhaupt nicht, denn dann wäre das Ästhetische nichts weiter als die Rendite, die man sich in die Taschen steckt und von der man sich allenfalls Glanz kaufen kann, um den man dann herumspringt wie um das goldene Kalb. Natürlich sollte man nicht, und ich weiß wovon ich rede, das gesamte Leben unter ästhetischen Gesichtspunkten betrachten, denn dann muß dafür auch eine Form gefunden werden, das Dichten zum Beispiel, das ja dann nicht nur im Mai zu betreiben ist, sondern auch im November und überhaupt immerzu angesichts des real existierenden Kapitalismus. Müssen die Börsen und Märkte romantisiert werden? Wäre das möglich? Nun ja, mit der Natur hat das doch immerhin auch geklappt.

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Axel Lübbes Novelle ‚Hugo von Brandenburg‘

„Während des letzten Vollmondes vor Weihnachten 1001 überwältigte den kaiserlichen Statthalter und Grafen von Toskana, Hugo von Brandenburg, ein Traum, der mit einem Schlage seine Seele ihrer starken, fromm-blanken Rüstung beraubte.“ 

So beginnt diese Novelle von Axel Lübbe, die 1927 in der Zeitschrift Die Neue Rundschau veröffentlicht wurde. Es handelt sich, wie das kenntnisreich geschriebene Nachwort des Herausgebers Martin A. Völker belegt, sowohl um eine aus der Historie entnommene, als auch ganz zeitgemäß und gleichsam modern mit Traum und Traumdeutung agierende Erzählung, die nun in einer ausnehmend schönen Ausgabe des außergewöhnlichen hochroth-Verlages wieder zu lesen ist. Es ist keineswegs übertrieben, von einer Meisternovelle zu sprechen, in der Liebe, Pflicht, Leid und Tod ihre zeitlosen Rollen spielen, changierend zwischen Wirklichkeit und Traum. Wie gut, daß immer mal wieder das ein oder andere Kleinod aus dem Schatzkästlein der Literatur ans Licht gehoben wird! Doch lesen Sie am besten selbst! 

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Des Menschen Wille …

Beginnt ein Voluntarist ein Voluntariat … So könnte ein Witz beginnen, erzählt von einem jener Männer, die in den 30er, 40er und 50er Jahren des letzten Jahrhunderts geboren wurden, denn das ist deren eigentliches Markenzeichen. Kennste den schon …? Diese Art Ventilfunktion ist heutigentags natürlich längst schon professionalisiert, damit die eigentlich auf Wohlstand für alle ausgerichtete Demokratie auch weiterhin funktioniert in Zeiten, in denen der Wohlstand sich peu à peu neu verteilt, politisch gewollt natürlich. Das ZDF und eine Vielzahl von Comedians und sogar auch Kabarettisten tun sich in dieser systembewahrenden und zugleich systemverändernden Notwendigkeit besonders hervor, da ist das Lachen wie Feierabend und Biertrinken und mit dem Gefühl verknüpft, dem Leben so etwas wie Lust abzupressen. Als trotzdem gut, auch wenn ich ihn überhaupt nicht sehen mag, was ja ein gutes Zeichen ist, darf man wohl Georg Schramm bezeichnen, wenigstens gelegentlich bis öfter. Immerhin berührt er die Frage, wie wollen wir leben, doch ziemlich häufig, wenngleich er sie eben nicht behutsam zum Wohlfühlgefühl hin streichelt, sondern gegen den Strich. Also: Chapeau! Trotz allem und ganz widerwillig ausgerufen. Bücher schreiben sie aber natürlich alle, denn von was muß man ja schließlich leben, und am besten leben läßt es sich natürlich mit Schriften über Mord und Totschlag (Krimis) oder mit solchen, die einen herzlich lachen machen. Ha! Das ist die Wahrheit.

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Das Schreiben von Romanen (15)

Es spricht einiges dafür, Robert Musils Romanwerk Der Mann ohne Eigenschaften (1930 / 1932) als das längste Essay der Welt zu bezeichnen. Das sollte jedoch nicht dazu verleiten, die Figuren des Romans nur als reine Ideenträger zu sehen, obwohl eine schweizerische Dissertation, die ich mal in der Hand hatte, dies sogar im Titel behauptete: „Noch etwas tiefer lösen sich die Menschen in Nichtigkeiten auf„. Ich las den musilschen Roman zum ersten Mal Anfang der 90er Jahre, da war ich noch jünger als die Hauptperson Ulrich, nun, zwanzig Jahre später, bin ich älter als dieselbe. Der Handlung indes ist der heutige Leser noch weiter entrückt, jedenfalls zeitlich, spielt das Ganze doch in der Hauptstadt „Kakaniens“, also in Wien, quasi am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Hundert Jahre später ist die Welt noch ebenso modern wie die vom Autor ausgeführte, jedoch hat es zwei Weltkriege gegeben, das Grauen der Shoa, das unwiderrufliche Ende des Idealismus und das des Kommunismus, das der sozialen Marktwirtschaft und so weiter. Spräche das alles nicht dafür, in den Figuren des Romans vielleicht doch historische Typen sehen zu sollen? Fragen wir Jean Paul, der als einer der ersten Denker dem Schreiben von Romanen ernsthafte Überlegungen widmete.

Jean Paul schrieb gute 100 Jahre vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges einiges Substantielle zum Werden des Romans als solchem. In seiner Vorschule der Ästhetik (zweite, erweiterte Auflage von 1813) schreibt er in der Hauptsache von den Bedingungen, unter denen ein Roman entstehen kann. In § 59 heißt es: „Die Form des Charakters ist die Allgemeinheit im Besonderen, allegorische oder symbolische Individualität. Die Dichtkunst, welche ins geistige Reich Notwendigkeit und nur ins körperliche Freiheit einführt, muß die geistigen Zufälligkeiten eines Porträts, d. h. jedes Individuums, verschmähen und dieses zu einer Gattung erheben, in welcher sich die Menschheit widerspiegelt.“ Dies trifft nun sicher auf die Vielzahl der Charaktere Musils zu, denen es nicht an den zeittypischen Merkmalen ihres Geschlechts, ihrer Klasse, ihres Berufs und ihres aus all dem abgeleiteten Schicksals fehlt – aber kann man dies den Figuren ernsthaft vorwerfen? Oder gar dem Autor, der uns diese Charaktere vor Augen führt, auf daß wir ihnen näherzutreten vermögen? Natürlich nicht, denn die Figuren interagieren ja in ihrer Profilierung ganz eigenständig miteinander, sie sind Getriebene ihrer Zeit und ihrer selbst, ohne dadurch zwingend starke Individuen sein zu müssen. Ulrich selbst sagt ja, das „Ich verliert die Bedeutung, die es bisher gehabt hat“, was aber nicht heißt, es sei nicht Herr seiner selbst. Ja, der Mensch in diesem Roman ist satisfaktionsfähig, selbst der Frauenmörder Moosbrugger will keinesfalls als geisteskrank abgestempelt werden, auch wenn er von den juristisch-philosophischen Streitfragen um dieses Thema, die Schuldfähigkeit, kaum etwas ahnt in seiner Einfältigkeit. Oder sind etwa die Frauen, wenn sie sich für Moosbrugger verwenden wollen, allesamt wahnsinnig, die verträumt-sinnliche Clarisse etwa, eine Freundin unseres Helden? Nein, nein, je mehr diese Menschen denken, je mehr sie aufmerken oder wesentliche Dinge übersehen, je mehr sie sogar zum Spielball der gesellschaftlichen Kräfte zu werden drohen, etwa Diotima, die jenen Salon führt, mittels dem die Parallelaktion zum Leben erweckt werden soll, desto mehr spürt der Leser sie, hört sie denken, riecht sie, schmeckt sie, folgt ihnen, so nah als nur möglich.

Eingreifen kann der Leser naturgemäß so wenig wie der Dichter beim Verfassen des Werkes eingreifen konnte, ja im Falle des Mannes ohne Eigenschaften scheint es sogar so, daß der Autor in erster Linie Protokollant des Wahnsinns zu jener Zeitenwende ist und sein muß, sein will, die das Ende des langen 19. Jahrhunderts bedeutete. Die Charaktere standen Musil ganz sicher deutlich, überdeutlich vor Augen, ganz und gar lebendig, denn wie sonst hätte er unter schlechten Bedingungen diesen immensen Roman schreiben können? Nun, die Figuren, das ist mehr als eindeutig, zwangen ihn dazu. Jean Paul, im § 57 zur Entstehung poetischer Charaktere, bemerkt zu diesem Prozeß des Schreibens ganz richtig: „Der Charakter selber muß lebendig vor euch in der begeisterten Stunde fest thronen, ihr müsset ihn hören, nicht bloß sehen; er muß euch – wie ja im Traume geschieht – eingeben, nicht ihr ihm, und das so sehr, daß ihr in der kalten Stunde vorher zwar ungefähr das Was, aber nicht das Wie voraussagen könntet. Ein Dichter, der überlegen muß, ob er einen Charakter in einem gegebenen Fall Ja oder Nein zu sagen lassen habe, werf‘ ihn weg, es ist eine dumme Leiche.“ Nach dummen Leichen in diesem Sinne sucht man im Mann ohne Eigenschaften allerdings vergebens, denn nichts ist spannender, als Charakter- wie Dummköpfen beim Denken zuzuhören. Wie gesagt, das wahrscheinlich längste Essay der Welt! 

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Ist es möglich, aus Mißtrauen Literatur zu machen?

Die Antwort ist klar und deutlich, nein. So wenig, wie man aus Krach oder feuchter Luft Literatur machen kann. Dennoch reizt es mich, es einmal mit dem Mißtrauen zu versuchen, und siehe da, es funktioniert. Eine kleine, feine Geschichte ist daraus entstanden, in der der Protagonist in eine Falle gelockt wird. Einmal darin tut er nichts anderes als wie vermeintlich gewünscht seine eigenen, ehrlichen Ansichten eine literarische Arbeit betreffend zum besten zu geben, doch das hilft nichts, denn alles was er sagt und als Anregung in den Raum stellt wird ihm als Verrat und Betrug und als Absicht, zu schaden, ausgelegt und also gegen ihn verwendet. Er, der Protagonist, noch keineswegs zu der Überzeugung gelangt, er sei überhaupt in eine Falle geraten, berichtet dann dem ein oder anderen Menschen von der ganzen Angelegenheit, wird schon wieder, ein Mißverständnis, einfach mal abwarten, sagen die meisten, das denkt er auch selbst, denn die nun von der anderen Seite geäußerte Ansicht, er habe bewußt einen Schaden anrichten wollen, ist falsch, weiß er, doch nichts dergleichen geschieht. Eine Falle also, sehr geschickt gemacht, muß man sagen, Hut ab!, was schon daran zu erkennen ist, daß ich erst jetzt, denkt der Protagonist schließlich also, darauf verfalle, ja, verfalle, dies könne doch ohne weiteres eine Falle gewesen sein, um mich loszuwerden, abzuservieren, zu streichen. Darüber ist nachzudenken, denkt der Protagonist, denn immerhin hat man mir das zugetraut, das mit dem Schadenwollen, mir also auf schönste Art und Weise mißtraut, ohne daß ich selbst dies ahnte oder selbst auch nur einen mißtrauischen Gedanken hatte. Mannomann, da dachte ich doch bisher immer, denkt der Protagonist, ich sei so scharfsinnig, und dann dies! Oder sollte ich nun selbst dem Mißtrauen verfallen sein? Denn vielleicht war es doch keine Falle, sondern einfach eine dumme Idee, die nicht funktioniert hat, aus Gründen, die ich, denkt der Protagonist, nicht kenne und nicht zu verantworten habe. Tja, auch möglich, und außerdem ist Mißtrauen ein schlimmer Virus, den ich nicht haben will, denkt der Protagonist am Ende der kleinen Geschichte, als ihm endlich klar wird, daß man aus Mißtrauen eben doch keine Literatur machen kann. Puh, noch einmal Glück gehabt, sagt er sich schließlich und zerreißt die frisch beschriebenen Blätter. Wie sehr man doch aufpassen muß!

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Hauptsatzstaccato – eine Klage

Liege ich richtig? Liege ich falsch? Meinem Eindruck nach jedenfalls werden viele literarische Texte heutigentags als eine Abfolge von Hauptsätzen gestaltet, eine Perlenkette vieler kleiner Wahrheiten, Gedanken, Sätze und Begebenheiten, bis der Roman eben voll ist. Der Hauptsatz, so ließe sich sagen, verzichtet auf seinen eigenen Kontext und wappnet sich zugleich gegen Zweifel – so ist es eben, so denkt oder fühlt diese Figur, so sieht es da eben aus, weiter im Text, Palaver unnötig. Zugegeben, ich selbst denke meine Gedanken keineswegs nacheinander, außerdem quatscht mir auch noch ständig jemand rein, den ich gut kenne und der mich zum Abwägen zwingt, zum Neuformulieren, zum Drumherumlaufen. Sollte ich da nicht am Ende froh sein, wenn mir der Schriftstellernachwuchs mal klar aufzeigt, wo es lang geht, denn immerhin hat eine nicht geringe Zahl der auf den Markt Drängenden das Schreiben studiert, das literarische ebenso wie gelegentlich und in Kombination damit das journalistische, wobei ich nicht umhin kann, das hauptsätzliche Schreiben dem journalistischen zuzuschreiben, denn da gehört es hin. Jetzt könnte ich ein paar Beispiele für diese Art von Romanen anbringen, doch vielleicht ist es besser, es nicht zu tun. Sicher ist sicher.

Der Text verliert sich nie in sich und wird nicht er selbst, der Text wird vom Autor nicht aus der Hand gegeben! Das ist mein Eindruck bei vielen der neuen Romane: die Sprache wird an der kurzen Leine geführt. Die Handlung fließt nicht, sie wird nur Takt für Takt auf der einen, vorhandenen Ebene erfüllt, irgendwer ist irgendwo und tut irgendetwas, das ist alles. Ich als Leser gucke darauf, sehe es mir an und verliere meist sehr schnell das Interesse an den Personen und der Situation, denn wo soll ich lesend mitgestalten, wenn alles so einfach ist, selbst wenn ich weiß, so einfach kann es nicht sein. Wenn also nicht die Sprache als solche mir einen Weg weist zu dem Nichtsoeinfachen, wie soll ich als Leser dann, das frage ich mich, dabei sein? Kein Mensch liest Drehbücher, alle wollen Filme. Kein Mensch liest Faktensammlungen, alle wollen Romane – dachte ich jedenfalls. Aber vielleicht bin ich auch nur aus der Zeit gefallen statt in sie hinein, vielleicht erwarte ich zu viel, vielleicht weiß ich zu viel. Ja, das wird es sein, ich weiß zu viel, ich kann mich nicht bescheiden. Mein Fehler!

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Überflüssiges Betreiben, lustvolles Verharren

Wenn ich etwas nicht unmittelbar Notwendiges tue, tue ich es mit der Überzeugung, etwas absolut Notwendiges zu tun. Für das objektiv Notwendige bedarf es nämlich keiner Überzeugung, da reicht der Trieb alles Lebendigen, „im Sein zu verharren“ – Benedictus de Spinoza formulierte dies so in seiner Ethik (posthum 1677 / Teil III, Lehrsatz 6). Alles darüber Hinausgehende steht uns frei, weil der Mensch Dinge mit Lust tun kann. Spinoza sagt, „Lust ist der Übergang des Menschen von geringerer zu größerer Vollkommenheit“, Unlust dagegen sei umgekehrt der Übergang von größerer zu geringerer Vollkommenheit (Teil III, Definitionen der Affekte, 2. und 3.). Daraus spricht nicht etwa die Geringschätzung des abhängig Arbeitenden, Spinoza selbst verdiente sich seinen Lebensunterhalt als Linsenschleifer, sondern die Überzeugung, der Mensch könne einer Idee leben, die ihn der Potenz nach ganz mit Lebenslust erfüllt, denn auch dies ist dem Trieb, im Sein zu verharren, zuzurechnen, nur eben auf dem Niveau des bewußten, menschlichen Seins. Ein Kampf wider die Kräfte der Natur bleibt es aber so oder so, also einer, der am Ende verlorengeht, denn die Kraft, mit der der Mensch in der Existenz verharrt, ist begrenzt und „wird von dem Vermögen der äußeren Ursachen unendlich übertroffen“ (Teil IV, Lehrsatz 3), so daß wir eben auch „leiden, insofern wir ein Teil der Natur sind“ (Teil IV, Lehrsatz 2). Ein Grund mehr also, der eigenen Idee zu leben, denn wenn es schon gegen unbesiegbare Kräfte geht, gegen die Materie, gegen die Zeit, die Unendlichkeit, dann doch bitte mit Sinn, Verstand und Lust. Würde ich sonst dies hier schreiben? Na also, ein überflüssiger Beweis mehr!

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Zum Drunter und zum Drüber des Urheberrechts

Die Zeiten, in denen die staatliche Gemeinschaft Sorge dafür trug, daß alle Bewohner dieses Landes Zugang zu Kunst, Wissen und Kultur haben, sind vorbei. Nicht etwa, daß das alles immer wunderbar funktionierte, denn keine westliche Gesellschaft sieht so sehr auf die Herkunft wie die deutsche, wenn es um Zugänge zu höherer Bildung geht, die in den besagten vergangenen Zeiten zugleich den Zugang zu höherem Einkommen garantierte. Einrichtungen wie Stadtbibliotheken und Volkshochschulen lassen sich aber getrost als Folge dieser Sorge betrachten. Nun, die aus diesen Bibliotheken und Volkshochschulen bestehenden Kulturlandschaften haben sich verändert, sind aber immer noch lebendig, denn ziemlich viele Menschen möchten an diesen Orten immer noch etwas sehen, lesen und lernen. Die in diesen Einrichtungen zur Verfügung gestellten Medien sind gemeinhin gut durchdachte und sorgsam hergestellte Produkte, die auf dem Markt frei verkauft werden, entweder an Einzelpersonen oder an Institutionen. Letztere stellen diese Werke dann denjenigen Menschen gegen kleine Gebühr zur Verfügung, die sich das Buch, die CD oder die DVD nicht leisten können oder möchten. So weit, so gut, so bekannt, so eingeschliffen, so langweilig. Klar ist, es gibt einen freien Zugang zu Kunst, Kultur und Wissen, er ist aber weder kostenlos noch ohne eigene Anstrengung zu haben, so wie dies im Leben generell gilt für alles, was der Mensch braucht und haben will.

Was hat das Ganze nun mit dem Urheberrecht zu tun? Ganz einfach: der Urheber eines künstlerischen Werks, einer ausgeführten Idee sozusagen, hat das Recht, mit seinem Werk in den Markt einzutreten und es dort anzubieten. Will es niemand kaufen, so kann das die mannigfachsten Gründe haben, doch bleibt der Künstler nicht erfolglos, so verkauft er entweder das Original, weil es per definitionem nur ein einziges Stück geben kann, oder er verkauft eines von vielen Originalen, von Kopien, weil es kein materielles Original gibt (allenfalls ein Manuskript, ein Mutterband oder ein „Erstexemplar“). Alle Kopien beruhen aber auf einer Idee, die, wie man so sagt, in ihrer Verwirklichung eine gewisse Schöpfungshöhe haben muß, um etwa als Kunstwerk zu gelten. So weit, so gut, so einfach, so bekannt.

Was aber geschieht nun, wenn dieses Kunstwerk, etwa ein Roman oder ein Lied, nicht mehr zwingend als ein mit Materie verbundenes Gut auf den Markt gebracht wird, wenn es also immateriell als solches ebenso vollkommen ist wie materiegebunden, die erzählte Geschichte auf dem Bildschirm ebenso berührend ist wie zwischen zwei Buchdeckeln? An sich dürfte dies keinen Unterschied machen, denn niemand hat zuvor ein Buch mit dem Bewußtsein gekauft, gebundenes Papier zu erstehen, sondern er oder sie zahlte für die Geschichte, so daß am Ende der Urheber seinen Teil bekam, wenn auch vielleicht nicht den wirklich angemessenen – doch das ist eine andere Diskussion. Ist also etwas verlorengegangen, ist die Geschichte unlesbar geworden, der Film unsehbar, die Musik unhörbar, nur weil das bisher verwendete Trägermaterial unnötig geworden ist? Nein, keineswegs. Wechsel hin zu neuen Formen der Darreichung oder der Speicherung hat es schließlich immer gegeben.

Neu ist nur, daß sich die Werke nun viel leichter klauen lassen, und da kommt die staatliche Gemeinschaft wieder zu ihrer Rolle, denn diese hat zur Hauptaufgabe, die Staatsbürger und überhaupt die Bewohner zu schützen, auch davor, beklaut oder beraubt zu werden. Auch neu ist es, daß die Räuber sich keineswegs mit ihrem Raubgut dünne machen und sich der staatlichen Gewalt entziehen, nein, sie behaupten nun, das kulturelle Gut mit eigenem Recht ohne Bezahlung genommen zu haben, weil es einen uneingeschränkten Zugang zu Wissen und Kultur geben müsse, vielleicht nicht in allen Bereichen, im Internet aber schon. Sie stürmen also nicht die Konzerthallen oder Museen, wohl aber die Hallen der immateriell speicherbaren und (auch) immateriell darbietbaren Kunst. Sind dieses Menschen, Banditen, Räuber und Piraten, verrückt geworden? Ebenso gut könnte man behaupten, aus einem Haus mit offen stehender Türe alles straffrei mitgehen lassen zu dürfen, weil dasjenige, was so ein Haus beherbergt, nun mal ganz allgemein nützlich ist und imgrunde jedem Menschen zusteht. Was einfach zu klauen ist, so die dem zugrunde liegende Ansicht, ist gemeinfrei. Natürlich würde die Polizei in einem solchen Falle eingreifen, nicht mal völlig unbrauchbar gewordene Gegenstände dürften mitgenommen werden und natürlich auch keine Kunstwerke, ob nun einmalige oder die als Kopien vorhandenen.

Im Internet soll dies nun alles anders sein, denn die Fünfte Kolonne* der Internetriesen Google, Facebook und so weiter will geschütztes Gut benutzen dürfen, ganz ungeachtet der sogenannten Schöpfungshöhe und der für die Herstellung des Produktes aufgewendeten Arbeitsleistung, frei nach dem Motto, wer nachts mit seinen Klunkern durch die Gegend läuft muß sich nicht wundern, wenn er überfallen wird – der Räuber kann da nix zu! Also weg mit dem Recht am geistigen Eigentum, sofern es sich als leicht entwendbar herausstellt, oder wenn das den gewählten Vertretern des aus Piraterie Nutzen ziehenden Volkes nicht gelingen sollte, dann muß dem Künstler wenigstens das Recht an seinem Werk nach ein paar Jahren genommen werden, denn daß jemand aus seiner Arbeit so lange Nutzen zieht wie diese Künstler, das hat die Weltgeschichte ja noch nicht gesehen! Sollen die doch am Ende froh sein, wenn ihre Werke von Internetfirmen, die sich um alles kümmern, verbreitet werden, denn so haben ja alle was davon. Oder? Oder doch nicht?

* Niki Stein, Regisseur und Drehbuchautor, schreibt: „Warum eigentlich hat sich diese neue, junge Partei so auf uns Urheber eingeschossen? Warum bekämpfen die Netzaktivisten nicht die Netzmonopolisten Apple, Google, Facebook und Amazon, die längst ihre Vorlieben und Freunde, ihr Seh- und Leseverhalten gespeichert haben, die totalitäre Giganten geworden sind in einer Welt, in der die Herrschaft über Information ein ähnlich großes Erpressungspotential besitzt wie die Atombombe?“

Der lesenswerte Artikel von Niki Stein findet sich in der FAZ.

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Günter Grass wütet um sich

Der Nobelpreis für Literatur ist ein politischer Preis, da sollte man sich nichts vormachen. Das hat gelegentlich zu skurrilen Entscheidungen des Nobelkomitees geführt, die im Nachhinein nicht kommentiert werden müssen. Auch ein gewisser Günter Grass bekam eines Tages diesen Preis. Nun hat Grass sein in unrhythmischer Prosa geschriebenes Gedicht ‚Was gesagt werden muss‘ in die Welt geworfen, und siehe da, das Allererste, was das Gedicht erblickt, ist die hellste aller jemals denkbaren Glühbirnen, die Weltöffentlichkeit.

Nun, das Allererste, was die Leser im Text sehen, ist: Günter Grass. „Warum schweige ich“ schreibt er in der ersten Zeile ganz gegenwärtig, obgleich er doch schon spricht, zu uns Überlebenden nämlich, die nicht vernichtet sein werden wie das iranische Volk, welches ausgelöscht werden könnte durch – doch da schweigt er wieder, weil er den Namen dieses Gefährder-Staates sich (hier noch) nicht zu sagen getraut, ganz im Gegensatz zu allen anderen, die den Namen Israel, in allen möglichen Kontexten, durchaus sagen können, wenn sie es für richtig halten. Das iranische Volk, so suggeriert der Autor im Folgenden, hat momentan offensichtlich nur das Problem, von einem Maulhelden unterjocht zu werden und im Verdacht zu stehen, eine Atombombe bauen zu wollen, was aber leider von jenem anderen Volk so ernst genommen wird, daß es womöglich gar nicht anders kann, als dieses Volk durch Atombomben zu vernichten, bevor nämlich die vermutete iranische Atombombe gegen Israel zum Einsatz kommt (und gleich noch alle umliegenden Staaten und die Palästinenser mitvernichtet). Herr Grass denkt, dies alles stünde ganz eindeutig zu befürchten, werde aber verschwiegen, so daß er nun, schon durch Schweigen schuldig geworden, sprechen müsse, endlich. Die Strafe dafür, nämlich als Antisemit beschimpft zu werden, ist er bereit zu empfangen, das Verdikt des Antisemitismus sei allgegenwärtig. Herr Grass vermutet, das wird hier deutlich, sicher überall Feinde, die ihn bekämpfen, vielleicht vernichten wollen, ihn, den Mahner, der mit letzter Kraft die Welt zu retten hat. Die Juden und deren Freunde dürfen also, aus Sicht des Herrn Grass, als gefährlich gelten. Hatten wir das nicht schon einmal?

So weit, so unklar. Weiterhin unklar dürfte auch sein, warum Herr Grass davon ausgeht, die Israelis würden die iranischen Atomanlagen ausgerechnet mit Atombomben angreifen, also bewußt nicht nur die Zerstörung dieser Anlagen beabsichtigen, sondern auch noch das iranische Volk gleichsam mitvernichten wollen. Woher hat der Grass diese Vorstellungen? Oder geht er davon aus, daß die zerstörten Atomkraftwerke diese Wirkung haben, daß es sich also womöglich um einen perfiden Vernichtungsplan handelt, der ganz böse die Kollateralschäden als irgendwie entschuldbare mit einberechnet? Klare Aussagen dazu finden sich im Gedicht jedenfalls nicht. Denn wenn auch die gegenwärtige israelische Politik tatsächlich kaum als gut und friedensstiftend zu bezeichnen ist, warum sollte Israel ein Volk auslöschen wollen, mal ganz abgesehen davon, daß das so einfach ja zum Glück nicht ist, nicht mal mit Atombomben? Der Schluß, der sich für ihn aus dieser kraft seiner Sehergabe erkannten Gefahr ergibt, ist: „Die Atommacht Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden?“ (Man beachte das sprachlich und inhaltlich völlig unpassende Fragezeichen!, denn er fragt nicht, er sagt, gealtert und mit letzter Tinte.) Nicht die Machthaber im Iran sind also gefährlich und gefährden uns alle oder doch wenigstens andere Staaten, obwohl eben diese Machthaber Israel das Existenzrecht absprechen, nein, aus Sicht des Herrn Grass ist allein Israel der Weltfriedensgefährder. Es gäbe, so Grass weiter, „den Verursacher der erkennbaren Gefahr“, nicht etwa „die“ Verursacher!, der nun aufgefordert werden müßte, auf Gewalt zu verzichten – so als sei die von Grass wohl wenig ernst genommene Drohung der iranischen Machthaber, Israel zu vernichten, etwa nicht auch schon Gewalt und Gewaltandrohung! Nun ja, aus Sicht des Grass sind das ja nur Maulhelden, die man womöglich gewähren lassen sollte.

Kein Wort des Herrn Grass darüber, daß Atombomben seit den ersten beiden Einsätzen gegen Japan nie wieder tatsächlich benutzt worden sind, daß diese immer „nur“ als Drohpotential „eingesetzt“ wurden. Auch Israel droht mit seinem Potential auf allen Ebenen, nicht nur mit Atombomben, so wie dies jeder andere Staat, wenn er es muß oder zu müssen meint, auch tut. Dies ist in dieser Welt nun leider so, es gibt einen hochkomplizierten Gesamtzusammenhang, bei dem auch die Rüstungspolitik der westlichen Welt eine große Rolle spielt, was durchaus diskutiert werden muß, auch in bezug auf die Rolle Deutschlands, von dessen Boden wegen der Waffenlieferungen in alle Welt ganz real wieder Krieg ausgeht. Dies alles aber zu vereinfachen, auch dadurch, daß man keinen sachlichen Text schreibt und stattdessen zwielichtig herumraunt, und dann auch noch einen einzigen Schuldigen zu präsentieren, ist schon kurzsichtig und dumm genug – jedoch das Denkmuster zugrunde zu legen, die eigentliche Schuld träfe jetzt schon, durch die von Grass als gesichert angesehene Gefährdung des Weltfriedens durch Israel, die Juden, ist eindeutig antisemitisch. Wenn Grass statt Krawall und Skandal einen fruchtbaren Dialog hätte führen wollen, hätte er sich ausführlich, sachlich und sprachlich-stilistisch angemessen mit der Lage im Nahen Osten beschäftigt und dies zur Diskussion gestellt, statt seine „Wahrheiten“ hinauszuposaunen, noch dazu mit der Attitüde des von den Juden zum Opfer gemachten Deutschen, der nun, eigentlich zum Schweigen verdammt, unter Schmerzen die Wahrheit herauspreßt. An und auch für sich sollte ein Schriftsteller wissen, wie gefährlich allein Worte sind und auch immer schon waren, woraus sich denn eine Verantwortung ergibt, die Günter Grass wohl nicht wahrnehmen will oder kann – er möchte lieber um sich wüten, um bloß nicht vergessen zu werden, koste es, was es wolle.

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