Die Hyperinflation in deutschen Landen von 1923 hat nicht nur Vermögen zerstört, sondern vor allem Vertrauen. Die Folgen sind bekannt. Neunzig Jahre später wird wieder Vertrauen zerstört, wieder geht es um Geld, Stichwort Bankenkrise und die Auswirkungen derselben, aber auch um den Verlust der historisch gesehen erst kürzlich errungenen Privatsphäre, Stichwort NSA-Affäre. Oder sollte dieses Mal alles anders sein, ausgerechnet in Deutschland? Sollte die Unterhaltungsindustrie derartig gut arbeiten, der merkelschen Politik derartig gut dienen, daß die Massen zufrieden bleiben und die Menschen in ihrer Mehrheit sich sicher und gut fühlen? Es spricht einiges dafür, das Ergebnis der Bundestagswahl, Umfragen, nach denen die Erkenntnisse der Spionageaffären den meisten Menschen keine Angst machen, die weithin akzeptierte miese Qualität des Fernsehprogramms und was nicht sonst noch alles. Natürlich gibt es kritische Beiträge zu allen wichtigen Themen (Waffenexporte, Flüchtlingspolitik, Tiertötungsindustrie, Massenarbeitslosigkeit usw.) in allen möglichen Medien, doch fast scheint es, als bliebe all dies nur so ein Treiben im kleinen Kreis derer, die sich ernsthafte und überaus berechtigte Sorgen um unser demokratisches Gemeinwesen machen, während die Mehrheit kaum noch bemerkt, mit welcher Unverfrorenheit gelogen, gestohlen, ausgebeutet und getötet wird. Hauptsache Fressen, Ficken, Fernreisen, darauf beruht die Macht heutzutage, und vielleicht würde es mal Zeit, daß die Kunst diesen Zustand der Gesellschaft als Thema aufgreift, ohne sich instrumentalisieren zu lassen und vor allem ohne einfach nur ein beliebiger Teil zu sein der alles in politischen Dämmerschlaf versetzenden Unterhaltungsmafia. Wäre das machbar, ginge das? Nein, das ginge nicht, denn entweder würde nur ein letztlich folgenloses Medienrauschen ausgelöst, Quatschköppequatschen in Talkshows, in denen quasi stellvertretend für die schweigende Mehrheit diskutiert wird, oder aber die Werke kursierten eben wieder nur in den Kreisen derer, die sie produzieren. Tja, gegen den Geist der Mehrheit ist eben kein Kraut gewachsen, aber auch das ist Demokratie, nämlich die Art, die man durchaus 08/15-Demokratie nennen könnte, weil alles so schön standardmäßig zusammenpaßt. Was soll man da mit Kunst, die zeitgemäß ist und von den Menschen Anteilnahme verlangt? Man sollte sie gar nicht mehr produzieren, oder wenn, dann nicht einmal mehr aus Verzweiflung, sondern einfach nur aus Überdruß, ja: Überdruß – was für ein schönes, energiegeladenes Wort!
Obstkiste, innen
Sauwohl gefühlt, wie zuhause! Der noch recht neue neue Lesesaal der Staatsbibliothek Unter den Linden hat definitiv die richtigen Dimensionen, das muß ich sagen, man fühlt sich wie in einer großen Obstkiste! Und da ich bekennender Kistenfan bin, bin ich da richtig! Auch die Farben sind für Ästheten recht angenehm, sie beruhigen das durch den Wissensdurst aufgeschäumte Gemüt und befördern so den Arbeitsprozeß. Doch was für mich angenehm ist, das weiß ich wohl, mag für den gemeinen, multilokalen Studenten das Gegenteil bedeuten – für diese Klientel gibt es aber schließlich das rummelige Grimmzentrum nebenan mit der Anmutung eines Bahnhofs; da fehlt nur noch McDoof und schmutzige ICEs mit heute veränderter Wagenfolge. Aber wie dem auch sei: ich werde mich nun also, wie schon einmal kurz erwähnt, im besagten neuen Lesesaal erst einmal intensiv in fremde Zeiten und Fachgebiete einarbeiten, um sodann Figuren zu gebären (mit zweien gehe ich schon schwanger) und Konflikte zu erstellen, auf daß dies alles dann lebendig und dereinst zu einem Roman werde. Und die große Obstkiste hilft mir dabei!
Spaß & Ödnis
Ja nu‘, ich hab mit der Recherche für den neuen Roman begonnen. Das wird alles, das weiß ich schon vorher, sehr umfangreich werden, denn einfach mal meine eigene Psyche zwecks Romanschreibens auszuschlachten, geht mir sowohl zu weit als auch nicht weit genug. Außerdem macht mir das Hineinarbeiten in vergangene Epochen und in mir nicht ausreichend bekannte Berufsfelder und Fachgebiete Spaß, und darum geht es ja ohne jeden Zweifel bei der Arbeit, um Spaß. Nicht im Sinne des Treibens fröhlichen Unsinns natürlich, sondern im Sinne des Sinnes, den das macht. Besonders ergiebig ist mir solch ein Tun immer dann, wenn es zeitgemäß ist und die Gegenwart betrifft, und das tut es, wählt man als Sujet für den Roman Zeitloses – davon gibt es übergenug, ja es scheint mir sogar so, als gäbe es kaum eine Thematik, die im Strudel der Zeit auf immer versunken ist. Alles noch da: Liebe und Leid, Krieg und Verrat und Betrug, Wahnsinn, Gier, Geiz, Gewalt, Mut und Schwermut, die Lust am Schöpferischen und am Spiel, und was einem sonst noch alles so einfallen mag. Die Schwierigkeit ist dabei nur, eine Geschichte zu komponieren, die in sich funktioniert, die sie selbst ist. Und wie gesagt, ich mach mich ran, der Wahnsinn geht weiter, und das ist auch gut so, denn allem anderen, so wurde mir kürzlich mitgeteilt, wohnt die Ödnis inne.
Karl Auer oder Horst Köhler?
Haben Sie nicht auch den Eindruck, daß der Herr rechts neben dem Bundesgauckler der selbe ist, der unten rechts als Bodybuilding-Rentner auftaucht? Vielleicht haben wir den netten Herrn Köhler ja immer unterschätzt! Und wie!

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Der älteste Beruf der Welt
Was so ein seidener Faden alles aushalten muß! Mannomann! Meiner ist nicht nur vollbehängt, nein, ich erdrossele damit auch Leute, die noch mehr Gewicht an den Faden hängen wollen, damit er, das hätten die gerne, so bald wie möglich reißt. Klassischer Fall von Notwehr, würde ich mal sagen. Ähnliches gilt auch für die Sache mit Messers Schneide, auf der alles steht, denn auch ein Messer eignet sich prima für Leute, die mich aus dem Gleichgewicht bringen wollen, auf daß ich abstürze wie Nietzsches Seiltänzer. Aber bevor sich jemand aufregt: ist natürlich alles nur metaphorisch und sinnbildlich gemeint, was sich allein schon aus der Notwendigkeit ergibt, seine Kräfte sinnvoll einzusetzen, also eben auch nicht alles selbst wirklich zu tun, sondern tun zu lassen, indem man nämlich eine Geschichte erfindet, die durchaus mit einem seidenen Faden beginnen könnte, um sie dann laufen zu lassen. So ähnlich muß sich Gott gefühlt haben, als er die Idee des Menschen wachsen ließ, denn wenn eines klar ist: Gott war Schriftsteller, und zwar der erste aller Schriftsteller, er hat den ältesten Beruf der Welt ausgeübt, hat zeugen und leben und töten, Fäden spinnen und reißen lassen, er hat sich all das ausgedacht und es dann, ganz modern schon, seinen Lesern überlassen, die Geschichten zu beleben und weiterzuspinnen. Welten schaffen, darum geht’s, und obgleich ich noch darum ringe, der Welt und den Lesern den eben erst abgeschlossenen Roman übergeben zu können, wächst schon eine neue Geschichte in mir heran, mit seidenen Fäden, mit Menschen und dem ganzen Zeug, das sich daraus ergibt. Aber warum erfinden manche Menschen, so auch ich, neue Welten? Vielleicht weil sie mit der, die ist wie sie ist, nicht glücklich sind? Kann schon sein, glaube ich aber eigentlich nicht. Dieser Zwang kommt ganz woanders her, und ich denke, ich setzte einfach mal einen Protagonisten darauf an, der dieser Frage nachgeht. Bin jetzt schon ganz gespannt, was dabei rauskommt.
Buchmessdiener
Buchmesse ist, in Frankfurt, und alle aktuell ernstzunehmenden Autoren Berlins und auch viele, viele aus dem Rest der Welt sind dort präsent, um bei der Messfeier Messdiener zu sein. Sie bringen Brot, Wein und Wasser zum Altar des Literaturmarktes, auf daß der Markt gedeihe und weiterhin Kapital generiere. Manche sagen auch, die Autoren brächten Blut, Schweiß und Tränen zu eben diesem Altar – doch was machte das für einen Unterschied? Keinen, womöglich!
Empathietraining
Nur ganz kurz: die FAZ macht im Internet heute Kurzwerbung für einen Wissens-Artikel bzw. ein Wissens-Interview in ihrer Printausgabe. Wie Literatur hilft, Gedanken zu lesen, das die Überschrift – und darunter heißt es: „Wer gute Bücher liest, kann sich anschließend besser in andere Menschen hineinversetzen, schreiben Wissenschaftler in „Science“. Unsere Mitarbeiterin Ina Hübener hat mit den Sozialpsychologen aus New York gesprochen.“ Das hätte ich nie, nie, nie gedacht! Is that so! Was für eine Erkenntnis! Danke, liebe FAZ! Und natürlich danke, liebe Sozialpsychologen aus New York! Hoffentlich bekomme ich noch ein Exemplar am Kiosk – – – ich muß los!
Versatzstücke, Novalis, Alban Nikolai Herbst
Wenn aus Versatzstücken des Lebens Literatur wird, dann wird wiederum aus der Literatur ein – vermeintlich größeres – Versatzstück. Eine Fortschreibung. Dies ganz im Sinne des Novalis und auch ganz in dem von Alban Nikolai Herbst, der mit seinem literarischen Weblog Die Dschungel. Anderswelt die Wirklichkeit beackert und die Saat ins Brachliegende bringt, es wachsen und gedeihen läßt, mitunter tatsächlich dschungelartig. Das lateinische Wort novalis bedeutet so viel wie Brachfeld, Neubruch, Acker, und daß Georg Philipp Friedrich Freiherr von Hardenberg sich diesen Namen als Künstlernamen auserkor, wird als Zeichen der (damaligen) Zeit oftmals übersehen. Lieber verkitscht man heute in Popeventmanier sein lyrisches Schaffen und mißachtet sein philosophisches, zeit(en)befragendes Werk. Würde Novalis heute leben, er beackerte sicher ein literarisches Weblog mit dem programmatischen Namen Blüthenstaub – und er schriebe Romane, die sich aus all dem speisen. In besagtem Blüthenstaub findet sich dazu das folgende (Nr.66):
Alle Zufälle unsers Lebens sind Materialien, aus denen wir machen können, was wir wollen. Wer viel Geist hat, macht viel aus seinem Leben. Jede Bekanntschaft, jeder Vorfall, wäre für den durchaus Geistigen erstes Glied einer unendlichen Reihe, Anfang eines unendlichen Romans.
Alban Nikolai Herbst schreibt:
Wer sich über das Weblog zur Figur in einem Text werden läßt, hat die Illusion, seine Entwicklung im Griff zu haben. Das stimmt in poetischer Hinsicht auch, kaum aber für den Alltag. Es kann aber auch auf ihn wirken. Das wäre ein handlungstherapeutisches Moment, das der in der Psychoanalyse in Gang gesetzten Regression analog ist: Wer sein Leben als Roman begreift, könnte sehr wohl, und vielleicht auch mit Recht, nach Art des kindlich-magischen Denkens vermeinen, durch Veränderung von Sätzen auch objektiven Geschehen eine Wendung zu geben. Dem entspricht die vergleichsweise Jugend des Internets. Es beginnt ja eben erst zu reifen; gewissermaßen ist es in der Pubertät. / Also: Ich schreibe den Protagonisten des Weblogs um, nämlich mich, und beziehe daraus die Zuversicht, ich würde mich auch im Leben ändern.
(Das Leben als Roman (ff). Aus dem DTs des 13. Aprils 2005. In: Alban Nikolai Herbst: Kleine Theorie des Literarischen Bloggens. Erste Lieferung. edition taberna kritika, Bern 2011. S.42.)
Wird fortgesetzt.
Schwarze Liste
Es ist immer unangenehm, wenn man merkt, daß man bei manchen Menschen auf der Wichtigkeitsskala unter ihren Haustieren steht. Man kann froh und dankbar sein, unter die ersten zehn zu kommen. Einzig der Umstand, daß Haustiere zwar prima zuhören können, aber nur in den seltensten Fällen zu mitfühlendem Sprechen und zu praktischen Hilfsangeboten in der Lage sind, gibt einem die Chance, unter Umständen für eine Weile ein wenig höher zu rücken auf dieser Liste, wenn auch natürlich nicht über die Tiere. Das habe ich schon öfter mal erlebt, und ich frage mich, warum ich immer wieder darauf hereinfalle. Die Antwort liegt allerdings auf der Hand: ich bin zu gutmütig. Schwache Charaktere nutzen das natürlich aus und befördern so gut es geht ihr eigenes Wohlbefinden, ohne das ihrer Haustiere zu vernachlässigen, beziehungsweise verbinden sie sogar das eine ganz prima mit dem anderen. Das ist schlau, wenn auch nur bauernschlau. Gegen die Haustiere habe ich allerdings meist nichts, die können ja nichts dafür, daß sie dem kitschigen Leben ihrer Halter und Halterinnen als Inhalt zu dienen haben. Nun ja, mache ich einfach mal wieder das Beste draus und füge meinerseits meiner (schwarzen) Liste etwas hinzu, auf daß ich die quasi in ihr aufbewahrten Erfahrungen als Grundlage nehme für allerlei Texte. Das Schöne an dieser Liste ist übrigens, daß die dort Versammelten alle gleich schwarz sind, ohne jeden Unterschied, ganz und gar gleichberechtigt. Das bin ich mir schuldig.